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"Kleiner Mann – was nun?" ist der Titel eines Romans des Berliner Schriftstellers Hans Fallada. In seinem Erscheinungsjahr – 1932 – hatte die Weltwirtschaftskrise Arbeitslosigkeit, Armut und Elend über Deutschland gebracht. Der Roman schildert lebensnah, wie ein kleiner Angestellter alles verliert und trotzdem versucht seine Würde zu behalten. Die Geschichte wurde schon oft als Theaterstück inszeniert und verfilmt, jetzt bringt sie Regie-Altmeister Frank Castorf auf die Bühne des Berliner Ensembles. Historisch wurde die Frage: "was nun?", durch die Machtergreifung der Nazis beantwortet. Und heute?
An seinem Hinterkopf sollt ihr ihn erkennen – Frank Castorf arbeitet mal wieder in Berlin – lebende Regielegende und Ex-Intendant der Volksbühne.
Frank Castorf, Regisseur
"N bisschen leiser bitte… Tschuldijung, manchmal muss man streng sein als Ex-Intendant."
"Du bist verrückt, du!"
Diesmal auf der Bühne: ein literarischer Welterfolg von 1932. Frank Castorf hat sich Hans Fallada vorgenommen – "Kleiner Mann, was nun?" - in 20 Sprachen übersetzt. Die Geschichte einer großen Liebe unter sogenannten "kleinen Leuten". Zwei, die in Krisenzeiten um ihre Würde kämpfen.
"Nein, nein, ich lieb doch nur Dich."
Frank Castorf, Regisseur
"Es ist die Abbiegung zum Kitsch, es ist der Schuss Karl May, der in die Kleinbürgerenge kommt. Es ist sowohl die Lebensdemütigung, als auch die Lebensfreude, die drin steckt."
Denn es geht auch um tatsächlichen sozialen Abstieg und die Angst davor, die Gräben und Brüche in der Gesellschaft.
"Da sieht man mal, wie die beim Arzt über uns reden."
- "Warum regst Du Dich denn auf, Lämmchen? Mit uns kleinen Leuten machen sie, was sie wollen!"
"Es regt mich aber auf."
Die Frage nach den Parallelen zur Gegenwart drängt sich da auf – das Thema schwebt über dieser Inszenierung – angesichts der Wahlergebnisse heute und damals.
"Ich will das nicht mehr, ich will, das die Welt anders wird."
Frank Castorf, Regisseur
"Wir sehen, wie flexibel und wie leicht etwas umschlagen kann. Und wir brauchen nicht kommen: wir brauchen Argumente, die richtigen Argumente, besser reden. Alles Quatsch. Man muss vielleicht die Basis, die wirtschaftliche Basis, die Gerechtigkeit, auch von sozialen Jobs, die muss man herstellen. Man kann sich die Politik und die Wahrheit nicht nur schönreden. Man muss mit den Gegebenheiten umgehen. Und Politik ist Praxis, ist Intelligenz in der Praxis und nicht Ideologie. Das kenne ich aus der DDR – nie wieder Ideologie."
"So, watt sind Sie? Buchhalter? Also Angestellter, n Arbeiter wäre mir lieber."
Schauspielerin Pauline Knof arbeitet zum ersten Mal mit Frank Castorf zusammen – und sie sagt, dass sie ihm gerne früher begegnet wäre.
Pauline Knof, Schauspielerin
"Es geht viel mehr auf Anarchie, es geht mehr in die Extreme, es wird immer nochmal ne Schraube weitergedreht. Ne Castorf-Inszenierung ist einfach fett!"
"Die ganze Welt ist himmelblau…"
Musikalisch ist diese Inszenierung ein wilder Ritt zwischen Kampfliedern und Wirtschaftswunderschlager - das junge Paar, Pinneberg und Lämmchen, ist anfangs ein reines, naives Glück.
"Wie, wenn wir uns heiraten würden?"
Pauline Knof, Schauspielerin
"Das sind zwei Menschen mit nem reinen Herzen, die erstmal ohne Arg sind. Und das ist schonmal so eine Seltenheit in dieser Zeit. Menschen, die offen ins Leben gehen und denken: wenn ich mich verliebe und wenn ich ein Kind bekomme und wenn ich arbeite und fleißig bin, dann wir mein Leben in einer geraden Linie leicht bergauf gehen – und das ist ja einfach so ein Missverständnis."
Am Ende stehen – in Castorf‘scher Assoziationskunst Texte von Heiner Müller – Die Nacht der langen Messer. Falladas Roman aus dem Umbruchsjahr 1932 wird weitergedacht – hin zu dem, was danach kommt: der deutschen Katastrophe.
"Die langen Messer schnitten durch Berlin – da hab ich getötet meinen Bruder."
Frank Castorf führt uns zur Unterbühne des Berliner Ensembles – hier hat er etwas entdeckt, das er mitinszenieren wollte. Sowjetische Panzerräder, die nach dem Krieg für die Drehbühne genutzt worden sind – damit sie auch wirklich haltbar ist.
Frank Castorf, Regisseur
"Das ist ein Rollen aus der Vergangenheit. Dass es auch Realität hat, Theater und nicht nur… Brecht sagt das ja: ich hab’s bis zum Hals, das ist gewöhnliches Theater. Der Mond ist aus Papier - nur die Fleischbank dahinter, das ist die Wahrheit, das Leben. Und sowas denke ich immer, an solche Sätze."
Per Video werden die Panzerräder aus dem Zweiten Weltkrieg von der Unterbühne auf die Bühne geholt. Und die Zeitschichten greifen ineinander.
"In meinem Zustand? Wo bin ich denn hier?"
Letzte Frage für heute - jeder spricht im Moment Frank Castorf auf die Wahlergebnisse im Osten des Landes an – für ihn ist die umfassende Übernahme durch den Westen ein Hauptgrund.
Frank Castorf, Regisseur
"Man kann schon sagen, dass die ganzen Intendanzen, die Gerichte, die Galerien, die Universitäten – auch am Anfang die Ministerpräsidenten diese Macht übernommen haben. Das war natürlich ne Demütigung für viele Ostler. Und dann gibt’s nach 30 Jahren – das ist ja nicht n Wunder, dass so ne Bewegung jetzt entsteht, sondern jetzt erst."
"Pinneberg, Sie sind zum ersten Oktober gekündigt!"
Demütigungen auch auf der Bühne – allerdings: bei Frank Castorf sehen sie einfach besser aus.
Autor: Steffen Prell