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Es ist ein stolzer Blick zurück: Vor 70 Jahren wird die Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf gegründet. Über diese sieben Jahrzehnte haben dort Studierende gelernt mit der Macht der Bilder umzugehen. Manchmal auch anders, als es die Mächtigen gerne gehabt hätten. So haben sich hier Talente entwickeln können, die unseren Blick auf die Welt geschärft haben.
Es ist Herbst. Wir sind in Potsdam-Babelsberg. Es geht um dieses Haus. Eine Drehgenehmigung haben wir noch nicht – aber da kommt Peter Badel, der macht das für uns.
"…Aber ick merk, ick red mit ner Maschine, dann probier ich es nochmal anders. Dankeschön. Aber da kommt jemand, eben war die Tür offen, mal gucken."
Er hat hier mal Kamera studiert – da öffnen sich die Türen fast von alleine. Josef Stalin hat hier während der Potsdamer Konferenz gewohnt – später zog hier die Direktion der Filmhochschule ein – HIER, in Grenznähe konnte noch jeder hin.
Peter Badel
"Weil die Filmhochschule generell mit den einzelnen Villen im Grenzgebiet lag, gab es nur dieses Haus, wo man sich erkundigen konnte, wo man Unterlagen abgeben konnte, es war das Einzige, wo das Tor nicht zum Grenzgebiet gehörte. Hier unten war das Filmlager drin. Das heißt, alle Filme, die man sich anschauen wollte von anderen Studierenden, man hat seine eigenen Filmmaterialien dort bekommen. Also, erstmal ne Rolle für ne kleene Übung, 16mm, später 35 mm. Filmausgabe und -eingabe erfolgte durch das Fenster."
Ein paar Meter die Babelsberger Karl-Marx-Straße hinauf – dort befand sich eine Art Studienzentrum – mit Aula, Kantine, den Büros der verschiedenen Studiengänge – und einer Terrasse, auf der viel diskutiert und geraucht wurde.
Peter Badel
"Ich frag mich immer, wo ich studiert habe, in der DDR oder in so nem Sondergebiet. Den Weg gab’s gar nicht, hier oben, die Terrasse war abgesperrt, da war alles zu, da war der Hinterlandzaun – da unten fuhren die Trabis, in der Mitte fuhren die Pratouillenboote und wenn es im Herbst die Blätter verloren hatte, dann konnte man rübergucken bis zu anderen Seite. Dann sah man nur Wald auf der anderen Seite vom Griebnitzsee. Und für uns hörte die Welt hier auf – und dann gab’s immer Diskussionen, also, einen Regiestudenten aus meiner Zeit, der hat immer gesagt: "Det macht doch wat mit uns, det macht doch wat mit uns, wir müssen doch als Filmhochschüler darauf auch reagieren." Aber es war natürlich kein erlaubtes Thema."
Bis 1981 hat Peter Badel hier studiert – gegründet wurde die Filmuniversität 1954 – der Gründungsdirektor Kurt Maetzig erinnert sich Jahrzehnte später.
"Mein Schlachtruf sozusagen war: An der Realität, durch die Realität, mit der Realität die Kunst erobern."
70 Jahre später ist die Filmuniversität Konrad Wolf die größte in Deutschland. Ein aktuelles Aushängeschild ist Jens Kevin Georg - er hat kürzlich sein Studium an der Filmuniversität abgeschlossen und für seinen Abschlussfilm den Studentenoscar gewonnen.
Ausgezeichnet worden ist er für seinen Film "Kruste" – ein Film über eine Suche nach Individualität und Zugehörigkeit.
"´N echter Narbenmann bin ich! ´N echter Narbenmann!!! Und warum? Weil ich aufgehört habe, jemand sein zu wollen, der ich nicht bin."
Die Filmuniversität hat ihn unter anderem gelehrt: mit der Realität die Kunst zu erobern.
Jens Kevin Georg, Regisseur / Absolvent Filmuniversität
"Ich glaube, ich persönlich, bin recht weit weg mit meinen Filmen von der Realität, aber dadurch, dass ich gezwungen wurde, von der Filmuni, geh ma raus und schau, was wirklich da ist, konnte ich sehr viel lernen, was echtes im Film eigentlich bedeutet. Und dieser dokumentarische Ansatz der Filmuni hat da echt geholfen."
Peter Badel ist viel später Professor für Kamera an der Filmuniversität geworden – aus einem Nachlass hat er ein Fotoalbum gerettet, mit Bildern von Kamerastudenten der ersten Jahrgänge in den 50er Jahren.
Peter Badel
"Das Schloss Babelsberg damals, in dem Park eben – man wurde immer rausgeschickt. Hier ist die Streichholzübung. Also, es war wirklich ne neue Generation, die eben unbelastet vom Krieg war."
Der dokumentarische Ansatz – durch die Realität die Kunst zu erobern – unterlag an der Filmuniversität zu DDR-Zeiten aber bestimmten Bedingungen.
Peter Badel
"Das beste Gegenmittel, gegen jede Art von Vorschrift und Beschränkung, war einfach drehen und einfach anfangen. Möglichst unter dem Mantel einer Übung etwas machen – also, Übungen dienten scheinbar der Handwerklichkeit und da konnte man natürlich Inhalte unterbringen. Das fand ich ziemlich großartig."
Aber auch das ging manchmal zu weit – Thomas Heises Übungsfilm "Wozu denn über DIESE LEUTE einen FILM?" von 1980 trägt die irritierte Frage der Dozenten schon im Titel. Eine Milieustudie aus Prenzlauer Berg - hier wird viel getrunken, von Kleinkriminalität erzählt und die US-amerikanische Hard-Rock-Band KISS verehrt.
Filmausschnitt "Wozu denn über diese Leute einen Film?"
"Watt findstn gut an KISS?"
- "Na, det Ufftreten und so. Nachm Konzert schlagen se allet kurz und kleen. Ihr eigenes Zeug, Gitarren schmeißen se in de Leute rin, in de Menge. Und wie se anjezogen sind und so."
Das… kam nicht so gut an.
Peter Badel
"Thomas Heise hat kein Diplom – daran kann man immer sehen, dass so bestimmte zeitpolitische Weltläufte wellenartig dazu geführt haben, dass bestimmte Zugriffe auf Wirklichkeit nicht nur nicht gewünscht waren, sondern wirklich nicht durchkamen."
In der Realität von heute bietet die Filmuniversität eine Ausbildung für fast 1000 Studierende aus fast 50 Ländern – immer wieder wird das Lehrangebot erweitert, zum Beispiel um die virtuelle Realität – hier bereiten gerade Studentinnen und Studenten aus dem Bereich "Creative Technologies" eine Präsentation vor. Künstlerinnen und Künstler, die Softwarentwicklung und audiovisuelle Technologien nutzen, um ihre Visionen umzusetzen. Und a propos Realität – die Wahrheit sagen beherrschen sie an der Filmuniversität offenbar.
Jens Kevin Georg, Regisseur / Absolvent Filmuniversität
"Nicht einfach immer nur freundlich sein und heititei – sondern auch mal Tacheles reden – das kann die Filmuni gut. Das sind Leute, die wirklich so ne große Leidenschaft haben, dass man nichts beschönigt, sondern auch mal aufn Tisch haut."
Jens Kevin Georg hat übrigens das ganz große Los gezogen – und bei einer Veranstaltung vor ein paar Tagen die Filmuniversität in Schokolade erhalten. Wirklich wahr.
Autor: Steffen Prell