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Nächste Woche feiern wir 35 Jahre Mauerfall. Gleichzeitig bleibt der Osten in unserer Wahrnehmung irgendwie anders. Woran liegt das? Viele Klischee verfangen auch, weil sie seit den 90ern von westdeutsch geprägten Medien bedient werden. Das erkundet jetzt eine neue Dokumentation.
Nach der Wende geht es um die Welt: Das Bild der wiedervereinigten Brüder und Schwestern. Es ist derart positiv und Herz erwärmend, dass es die westdeutsche Satire auf den Plan ruft.
Die ZONEN-GABY. Die einen können darüber gar nicht lachen, die anderen schon.
HAJO SCHUMACHER, Journalist, DER SPIEGEL 1990 bis 2000
"Tschuldigung, leider lustig…"
MANDY TRÖGER, Medienwissenschaftlerin Universität Tübingen
"Wenn Menschen mitkriegen, ich komme aus dem Osten, weil mein Name Mandy ist, bieten sie mir eine Banane an. Also, ich kann darüber nicht wirklich lachen."
HANS ZIPPERT, ehemaliger Chefredakteur TITANIC
"Wir haben damals, glaube ich, wirklich fast geschrien vor Lachen, als wir das Foto gesehen haben, das fertige, weil wir dachten, das ist so unglaublich gut geworden, dass… es trifft diese ganzen Klischees. Die Ostdeutschen selber haben eigentlich gar nicht so viel dazu beigetragen, sondern die wurden ja ganz schnell ein Gegenstand der Berichterstattung und auch der Einordnung."
Zum Gegenstand werden. Keine Hoheit haben über die Deutung von sich selbst. So empfinden das viele Ostdeutsche. In der Berichterstattung über den Osten sieht man oft eine diffuse Masse - unfreundlich und undankbar.
MANDY TRÖGER, Medienwissenschaftlerin Universität Tübingen
"Wir haben, wenn es um die Berichterstattung über Ostdeutschland geht, viele stereotype oder sich wiederholende Muster, zum Beispiel Rechtsradikalismus, Arbeitslosigkeit. Es ist öde. Die Ostdeutschen nörgeln. Diese negativen Narrative haben sich bis heute gehalten. Und sie funktionieren eben auch. Also, gerade für ein westdeutsches Publikum sind die schnell zu verstehen. Das muss man nicht groß erklären."
Die Westdeutschen blicken auf ein Deutschland zweiter Klasse. Und sie schauen auf ein unbekanntes Land. Alles mutet an wie Auslandsberichterstattung.
Zudem verheißt der Osten "schmutzige Themen". Verhandelt wird die vermeintliche Komplett-Überwachung eines Volkes und flächendeckendes Doping im Sport.
HAJO SCHUMACHER – Journalist, DER SPIEGEL 1990 bis 2000
"Der Kampfauftrag damals lautete: Fahr mal rüber und bring uns Sportler, Sportfunktionäre, Trainer, die entweder eine Stasigeschichte haben oder eine Dopinggeschichte haben oder idealerweise beides haben."
Es sind lange Zeit Leitmedien wie der SPIEGEL, die die Themen und die Bilder des Ostens produzieren. Die Zuschreibungen sind negativ.
HAJO SCHUMACHER – Journalist, DER SPIEGEL 1990 bis 2000
"Der Spiegel ist jeden Montag wieder in die Schlacht gezogen, und da musste natürlich immer Alarm auf dem Titel sein. Eine Titelgeschichte: ‚Eigentlich ist der Ossi ganz okay, oder, so schlimm ist es doch gar nicht‘ hätte sich jetzt, glaube ich, nicht so doll verkauft. Es sind immer die Angst-, die Drama-, die Furcht-, die Schuldgeschichten."
Die Lust an der Negativität – ein universelles Gesetz der Medien. Im Osten funktioniert es auch: Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen liefern genug Bilder. Allerdings: nicht alle Menschen im Osten sind Nazis. Doch das flächendeckende Stereotyp ist gesetzt.
ANKE FIEDLER, Medienwissenschaftlerin – Uni Greifswald
"Im Osten passieren Dinge und dann wird aus westdeutscher Perspektive darüber berichtet, - es wird pauschalisiert, und für die Menschen dort ist das frustrierend, vor allem für die Menschen, die sich für Pluralismus und Demokratie einsetzen."
Und gerne lassen sich die Medien holzschnittartige Erklärungen liefern, - zum Beispiel die so genannte Töpfchentheorie.
Magdeburger Gespräch, MDR, 23.03.1999
"Schon durch das gemeinsame gleichzeitige Topfsitzen in der Kinderkrippe, durch unglaubliches Training von Ordnung, Disziplin und Sauberkeit der schon Kleinsten sei in der DDR der Boden für Ausländerhass bei den jetzt Jugendlichen im Osten bereitet worden, so Prof. Pfeiffer.“
CHRISTIAN PFEIFFER, Damals: Direktor des "Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen"
"Starke Gruppenorientierung in der DDR, Kindererziehung und Feindbilderziehung in der DDR. Beides sind die Quellen dafür, dass wir heute in den neuen Bundesländern eine so viel ausgeprägtere Ausländerfeindlichkeit haben."
Im Westen kommt die Geschichte gut an und wird ein wichtiger Diskursbeitrag.
KERSTIN DECKER, Journalistin
"Ich kann mich erinnern, dass in dem großen Spiegelartikel, den er dann schrieb, der hatte dann die Unterüberschrift die SED züchtete, das muss man sich mal überlegen … statt freier Persönlichkeiten Untertanen. Und das ist natürlich unglaublich."
Bilder, die sich bis heute halten. Zum Beispiel auch in einem Kopf, bei dem man es nicht unbedingt erwartet. Im April 2023 gelangen private Chat-Nachrichten von Matthias Döpfner in die Öffentlichkeit.
"Zitat aus einer Nachricht von 2019: "Die Ossis sind entweder Kommunisten oder Faschisten. Dazwischen tun sie es nicht. Eklig." Zitat Ende."
HAJO SCHUMACHER, Journalist, DER SPIEGEL 1990 bis 2000
"Das ist aus tiefstem Herzen gesprochen, und es ist insofern vielleicht nicht schön, aber es ist ehrlich."
Woher kommen die Bilder über den Osten? Eine Erkenntnis: Medienbilder haben auch damit zu tun, wem die Medien gehören. Ein Blick zurück.
TAGESSCHAU vom 15. April 1991
"Die Berliner Treuhandanstalt hat heute ihre Entscheidung über die künftigen Eigentümer zehn ostdeutscher Zeitungen bekanntgegeben. Die Käufer sind 13 westdeutsche Verlage."
CHRISTOPH DIECKMANN, Journalist, DIE ZEIT
"Die Ostmedien wurden abgeschaltet, so wie der DDR-Staat unterging. Ich meine 1989. Die friedliche Revolution wurde ja nicht nur für Reisefreiheit und die Westmark geführt, sondern vor allem für eine freie, emanzipierte Gesellschaft. Und freie Gesellschaften haben eine freie Öffentlichkeit und organisieren sich selbst. Und wenn diese Öffentlichkeit, diese medial hergestellte Öffentlichkeit, sozusagen fremd bebildert und fremd beschriftet ist, dann funktioniert das nicht."
In den Medien vollzieht sich derselbe Effekt wie in Wirtschaft und Politik: Mit der Einführung des westlichen Modells kommen auch viele Medienmacher aus dem Westen. Einige Weichenstellungen von damals scheinen bis heute fortzuwirken.
MARIEKE REIMANN, Journalistin/Zweite Chefredakteurin des SWR
"Wir haben keinen Chefredakteur, keine Chefredakteurin aus dem Osten in einem überregionalen Medium. Bis auf einen einzigen bei der Bildzeitung. Und das zieht sich so durch, auch in die unteren Führungsebenen und ist eben, genau wie das auch andere Minoritäten betrifft, betrifft es auch Ostdeutsche, dass sie zum einen weniger vorkommen innerhalb der Redaktion und dadurch auch sozusagen die Darstellung von ihnen in der Berichterstattung eine sehr pauschalisierende zum Teil ist."
Und wenn ostdeutsche Klischees und Zuschreibungen zu selbsterfüllenden Prophezeiungen werden, wenn sich Menschen nicht mehr wiederfinden in dem, was Medien über sie erzählen, dann ist das ein Problem für die Gesellschaft.