Interview l Wie Pfeil & Bogen Körper & Psyche helfen - Kraft der Konzentration: Therapeutisches Bogenschießen
Mit Pfeil und Bogen fühlen sich nicht nur Kinder stark. Auch auch Erwachsene kann Bogenschießen positive psychische Effekte haben - bis hin zur therapeutischen Wirkung. Auch zur Stärkung des Körpers und Verbesserung der Koordination wird Bogenschießen therapeutisch genutzt, zum Beispiel nach schweren Unfällen. Wie das Therapeutische Bogenschießen hilft, verrät die Berliner Physiotherapeutin Diane Meier.
Das Zusammenspiel von Pfeil und Bogen erfordert ganz besondere Koordination und Konzentration. Im Unfallkrankenhaus Berlin wird das schon lange therapeutisch genutzt - Bogenschießen ist fester Bestandteil der Rehabilitation.
Diane Meier hat das Angebot vor 20 Jahren mit aufgebaut. Die Diplom-Sportlehrerin und Physiotherapeutin ist selbst Sportschützin.
Frau Meier, wie ist die Idee entstanden, Patienten und Patientinnen im Unfallkrankenhaus ausgerechnet Bogenschießen anzubieten?
Die Bogenschießanlage im Unfallkrankenhaus war schon vorhanden, als ich vor 20 Jahren dort anfing. Aber die regelmäßige Nutzung dieses Therapieangebotes war noch nicht so selbstverständlich.
Ich wurde dann gefragt, ob ich das Angebot ausbauen würde und da ich selber aus dem Sportschießen komme und ausgebildete Diplom-Sportlehrerin bin, habe ich das gerne angenommen und umgesetzt.
An wen richtet sich das Angebot im Unfallkrankenhaus?
Anfangs haben das vor allem Patienten und Patientinnen genutzt, die keine großen Handicaps hatten; also unfallchirurgische Patienten ohne dauerhafte Schädigungen.
Aber dann kam der erste Patient, der sagte: 'Ich würde ja gerne, aber ich kann nicht.' Und das war jemand, der im Rollstuhl saß, weil er ab dem fünften Halswirbel gelähmt war. Mit ihm wurde mein Ehrgeiz geweckt, das therapeutische Bogenschießen auch für solche Patienten zu ermöglichen.
In den 20 Jahren, die seitdem vergangen sind, habe ich immer weiter getüftelt, so dass jetzt so gut wie alle Patienten und Patientinnen das Bogenschießen ausüben können. Also:
- Menschen mit einer hohen Querschnittslähmung,
- Menschen, die sehgemindert sind,
- diejenigen, die an Multipler Sklerose leiden,
- ein Schädel-Hirn-Trauma oder einen Schlaganfall erlitten haben.
Ich würde sagen es gibt - bis auf eine starke geistige Einschränkung - kein Handicap, mit dem Bogenschießen nicht möglich ist.
Mit welchen Hilfskonstruktionen unterstützen Sie das therapeutische Bogenschießen?
Wir schießen mit Recurve-Bögen, die auch im normalen Vereinen geschossen werden. Davon haben wir unterschiedliche Größen, mit unterschiedlichen Bogenstärken, d.h. die Kraft die man aufwenden muss, um den Bogen zu spannen, ist anfangs eher gering und steigert sich später.
Das ist wichtig, damit Anfänger und Anfängerinnen den Bogen überhaupt spannen können.
Ein Hilfsmittel, das ich zusammen mit Kollegen aus der Ergotherapie erarbeitet habe, sind sogenannte Auszugshaken. Die ersetzen die Handfunktion und ermöglichen, sich mit dem Haken in die Sehne einzuklicken.
Eine andere Hilfe ist eine seitliche Stabilisierung am Rollstuhl, so dass Patienten mit einer Rumpfinstabilität nicht aus dem Rollstuhl fallen. Wir haben auch eine Ablage konstruiert, auf die der Patient den Arm legen kann, wenn er den Bogen nicht alleine halten kann.
Für unseren blinden Patienten, der schon ganz lange kommt, habe ich einen Garderobenständer umfunktioniert. Die Stange dient als Orientierungshilfe, mit der der Patient im Sitzen und im Stehen mit der haltenden Hand erfühlen kann, wo er den Bogen anhalten und wo die Hand stehen muss, um den Pfeil gut auf der Scheibe zu platzieren.
Was ist der besondere therapeutische Effekt des Bogenschießens?
Das Besondere aus meiner Sicht ist, dass Patienten mit ganz unterschiedlichen Einschränkungen zusammenkommen können und in die Lage versetzt werden, einen Sport bzw. eine Therapie auszuüben, von der sie anfangs dachten, dass das nicht möglich sei.
Viele zweifeln zu Beginn und befürchten, dass sie das gar nicht umsetzen können. Und dann kommen sie in die Anlage und ich arbeite mit ihnen und auf einmal ist eine hohe Begeisterungsfähigkeit da, weil sie sehen, dass der Pfeil die Scheibe trifft.
Das Resultat ist relativ schnell für die Patienten ersichtlich und damit ist die Begeisterung da und sie kommen immer wieder.
Welche Wirkungen auf den Körper hat das therapeutische Bogenschießen?
Viele denken ja vielleicht, dass das Bogenschießen mit ruck- oder stoßartigen Bewegungen verbunden ist, die für Menschen nach Unfällen problematisch sein könnten. Das ist aber nicht so. Wir leiten die Patienten und Patientinnen so an, dass kein Schmerz oder ein erneutes Trauma entsteht.
Die positiven Wirkungen auf den Körper sind vielfältig: Beim Bogenschießen verstärken sich die Atmung und der Stoffwechsel. Es kommt zu einer Verbesserung der Kraft und Ausdauerfähigkeit der Patienten.
Hinzu kommt: Bogenschießen trainiert die Koordination des Körpers und die Konzentration. Um den Pfeil auf der Scheibe zu platzieren, müssen ja bestimmte Schritte aufeinander folgen. Man muss den Bogen richtig fassen, eine ausreichende Spannung herstellen und im richtigen Moment loslassen, damit der Pfeil die Scheibe treffen kann.
Eine Patientin, die im Rollstuhl saß, hat einmal zu mir gesagt: Mit dem Bogenschießen habe sie einen Ort gefunden, an dem sie im Sitzen auch noch ein Gefühl der Bewegtheit und Anspannung im Oberkörper hat.
Was wir auch beobachten: Unter den Patienten und Patientinnen entsteht beim gemeinsamen Training Kommunikation, Kollegialität und Gemeinschaft. Die achten sich gegenseitig, weil alle diese Etappe des Unfallgeschehen durchlaufen haben.
Wie gehen Sie genau vor, wenn jemand das erste Mal zum therapeutischen Bogenschießen kommt?
Wir holen die Patienten und Patientinnen genau dort ab, wo sie sind, auch mit ihrer Unsicherheit und ihrer Sorge vor Schmerzen. Wir haben das Glück, dass wir anfangs eine Eins-zu-Eins-Betreuung haben. Das heißt, ich schaue mir an, was bringt der Patient mit? Wo ist sein Handicap? Und wo sieht er möglicherweise für sich das Problem?
Und dann wird es wirklich schrittweise erarbeitet. Wir sagen nicht gleich am Anfang: 'Du brauchst eine gute Haltung, du brauchst einen stabilen Stand', weil das bringen ganz viele Patienten einfach nicht mit - das erarbeiten sie sich aber mit der Zeit.
Das heißt, ich passe die Hilfsmittel an, so weit wie sie nötig sind und wenn sie gar nicht nötig sind, dann eben auch ohne.
Das ist so ein ganz, ganz weiches, feines Arbeiten und schrittweise Heranführen an die Auseinandersetzung mit dem Pfeil und dem Bogen. Wenn ich zum Beispiel Patienten mit neurologischen Problemen oder nach einen Schädel-Hirn-Trauma habe, dann kann ich gar nicht so viele Punkte auf einmal abrufen. Dann gilt es erstmal einen Schritt ganz langsam und dosiert zu üben, bevor der nächste kommt.
Mit solchen Patienten übe ich anfangs vielleicht nur zehn Minuten, weil sie sich gar nicht länger konzentrieren können.
Ihre Patienten und Patientinnen haben alle ein schweres Schicksal. Wie hilft therapeutisches Bogenschießen psychisch damit besser umgehen zu können?
Wir bekommen eigentlich von allen immer die Rückmeldung, dass es ihnen sehr viel Spaß macht. Sie fühlen sich ernst genommen, sie werden wacher, sie haben Interesse und auch die Neugierde am Leben wird wieder geweckt.
Hinzu kommt: wir haben beim therapeutischen Bogenschießen ja auch ambulante Patienten und Patientinnen, die diesen Prozess schon durchlaufen und ihre Stabilität im Leben wieder gefunden haben. Die unterstützen natürlich auch die stationären, frisch verletzten Patienten durch Gespräche, aber auch durch ihr positives Beispiel.
Wo können Menschen nach dem Klinikaufenthalt therapeutisches Bogenschießen ausüben?
Zum einen gibt es über den Schützenverband Berlin-Brandenburg immer die Möglichkeit, sich zu informieren, wo wohnortnah Vereine sind. Und ich empfehle immer: In den Verein gehen und sich erkundigen.
Natürlich muss man schauen, welche Vereine Patienten mit schweren Einschränkungen aufnehmen, aber es gibt schon vereinzelt welche, die Rehabilitationssport in Form von Bogenschießen anbieten. Und wenn Patienten mich fragen, dann vermittele ich auch gerne einen Kontakt.
Gibt es auch Fälle, wo sie sagen: 'Bogenschießen ist nichts für Sie'?
Das sage ich so pauschal nur selten zu Patienten. Es kommt vor, dass man sagt: Es ist noch zu früh. Und es gibt auch Patienten mit einer starken Halbseitenlähmung, zum Beispiel nach einem Schlaganfall. Sie leiden häufig unter einer starken Spastik der Muskeln oder haben einen ganz schlaffen Arm. Dann sind die Voraussetzungen natürlich schlechter.
Aber wir versuchen es - ich versuche es eigentlich immer.
Spielt bei Ihren Patienten und Patientinnen der Leistungsgedanke auch eine Rolle? Und ist das gut oder schlecht?
Der Ehrgeiz ist da, der ist mit jedem Pfeil da. Und wenn die Patienten zusammen schießen, dann fördere ich den auch so ein bisschen. Jetzt nicht so, dass wir Leistungssport machen, aber ich fördere schon den Ehrgeiz, zum Beispiel ein von mir gesetztes Ziel an dem Tag gemeinsam zu schaffen.
Da kommen dann die guten Schützen mit den schlechteren zusammen und messen sich. Aber, ich organisiere das so, dass es im Endergebnis ähnliche Ergebnisse gibt. Der schwächere Schütze bekommt dann einfach ein paar Punktwerte dazu. Und das motiviert die Patienten und Patientinnen.
Letztlich ist das therapeutische Bogenschießen auch eine Art Leistungssport, nur auf einer anderen Ebene. Jeder verschiebt seine Möglichkeiten weiter nach oben. Wenn jemand anfangs kaum den Bogen spannen konnte und nach einiger Zeit des Trainings die Scheibe trifft, dann ist das einfach eine unglaubliche Leistung!
Frau Meier, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Ursula Stamm