Interview l Vorsorge für bessere Erholung? - Prehabilitation - Fit machen für eine OP
Lange konzentrierte sich Rehabilitation darauf, Menschen z.B. nach einer OP schnell wieder auf die Beine zu bringen, doch inzwischen weiß man: In jedem Alter lohnt es sich auch vor einer Operation zu handeln, Betroffene fit zu machen und mit guter Ernährung vorzubereiten. Was die Prehabilitation oder "Preha" kann, haben wir Prof. Dr. med. Natascha C. Nüssler gefragt, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie.
Frau Prof. Dr. Nüssler, was ist der Kern der Prehabilitation? Und wann setzt sie an?
Prehabilitation kann man am einfachsten mit den Schlagworten beschreiben "Fit werden für die Operation." und ich denke, das beschreibt es auch am besten. "Prehabilitation" ist ja eine Wortschöpfung aus "pre" für "vor der OP" und Rehabilitation, also Wiederherstellung. Die Idee dahinter ist, dass wir den Allgemeinzustand des Patienten so weit wie möglich verbessern, denn: Je besser der Allgemeinzustand zum Zeitpunkt der OP ist, umso besser steht der Patient den Stress und die Belastung der Operation durch.
Das Konzept ist nicht ganz neu - die ersten Daten dazu sind schon ein paar Jahre alt. Aber es dauert ja immer ein bisschen, bis sich Ideen dann auch im Klinikalltag durchsetzen. Wenn man zurückblickt, dann wurden die Patienten früher operiert und danach wurde mit der Rehabilitation versucht, sie wieder auf den körperlichen Leistungsstand zurück zu bringen, den sie vor der Operation hatten.
Dann begann das Konzept "Fast-Track", mit dem versucht wird, die Belastung, die eine Operation für den ganzen Körper darstellt, zu minimieren. Es wurden andere Medikamente verwendet, die Vorbereitung wurde geändert, sodass das alles möglichst wenig in das körperliche Gleichgewicht eingreift.
Und jetzt kommt sozusagen als weiterer Baustein noch dazu, dass wir den Patienten bereits vor der OP schon in einen besseren, Allgemeinzustand bringen wollen.
Wie sieht das konkret aus? Was sind z.B. die drei wichtigsten Punkte, bei denen die "Preha" ansetzet?
Es gibt ein ganzes Bündel an Maßnahmen, die zur Prehabilitation dazugehören. Ich glaube die wichtigsten sind:
1. Der Ernährungszustand. Wenn jemand unterernährt ist, dann ist es offensichtlich, dass er auch mangelernährt ist. Aber wir haben auch übergewichtige Patienten, die trotzdem mangelernährt sind, weil sie beispielsweise aufgrund ihrer Erkrankung in kurzer Zeit sehr viel Gewicht abgenommen haben. Oder auch Patienten, die sich krankheitsbedingt oder aufgrund anderer Probleme nicht mehr ausreichend ernähren können. Ein drastisches Beispiel wäre ein älterer Patient, dessen Zahnprothese nicht mehr richtig passt, und der dann nur noch in Kaffee eingeweichten Zwieback zu sich nimmt.
Das führt dann zur Mangelernährung, die man an Laborwerten feststellen und auch mit bildgebenden Untersuchungen messen kann. Die Mangelernährung verstärkt dann den gerade bei älteren Patienten schon vorhandenen Muskelabbau. Und dieser Muskelabbau erhöht das Risiko einer Operation und erschwert den Patienten nach der Operation auch die Erholung. Häufig liegt bei den Patienten ein Eiweißmangel vor und wir können durch Änderung der Ernährung diese Mangelzustände ausgleichen. Im Wesentlichen geht es um den Ausgleich der fehlenden Nährstoffe, also Eiweiß, Mineralstoffe, Spurenelemente.
2. Körperliche Bewegung ist ein ganz wichtiger Punkt. Es geht jetzt nicht um Sport im klassischen Sinn, weil gerade ältere, gebrechliche Patienten ja oft gar nicht in der Lage sind Sport zu treiben. Aber sie können zum Beispiel spazieren gehen - wir ermutigen sie dann, das ein bisschen schneller zu tun, als sie das gewöhnt sind, sodass sie ein bisschen außer Atem kommen. Treppensteigen ist auch eine sehr gute Trainingsmethode. Bei sehr gebrechlichen Patienten reicht auch schon Gymnastik im Sitzen aus, um einen Fortschritt zu erreichen. Diese Patienten können bespielsweise üben, ohne Hilfe aus dem Sessel aufzustehen und ähnliche Dinge. Die Aktivität muss natürlich immer an den Zustand jedes Patienten angepasst werden.
Überraschenderweise kann man bei gebrechlichen Patienten und solchen mit ausgeprägtem Muskelabbau schon mit wenig Aufwand wieder Muskulatur aufbauen. Anders als der Spitzensportler, der unglaublich viel trainieren muss, um noch ein bisschen besser zu werden, ist bei den gebrechlichen Patienten vor einer Operation schnell ein Erfolg zu sehen.
3. Blutarmut und Eisenmangel. Vor allem Krebspatienten sind oft blutarm und haben einen Eisenmangel weil sie beispielsweise unbemerkt aus dem bösartigen Tumor bluten - immer nur in kleinen Mengen, die nicht auffallen. Durch diese sog. okkulten, also unbemerkten Blutungen, kann über die Zeit doch eine erhebliche Mengen an Blut und damit Eisen, das in den roten Blutkörperchen enthalten ist, verloren gehen. Die Patienten bemerken diese Blutung meist nicht, werden aber durch die Blutarmut immer schwächer. Der Körper kann nicht ausreichend Blut, vor allem rote Blutkörperchen nachbilden, da er ja auch das notwendige Eisen verloren hat, welches er nur schwer mit der Nahrung in ausreichender Menge aufnehmen kann. Diesen Patienten ersetzen wir das fehlende Eisen mit einer Eiseninfusion.
Es dauert dann eine Woche bis zehn Tage bis der Körper wieder ausreichend rote Blutkörperchen nachgebildet hat. Dann kann das Blut auch wieder mehr Sauerstoff transportieren, die Schwäche der Patienten nimmt ab und sie sind dann auch in der Lage sich körperlich zu betätigen. Ein weiterer positiver Effekt der Eisengabe und der Behandlung der Blutarmut ist der sinkende Bedarf von Blutransfusionen bei der Operation, was wiederum günstig für den weiteren Krankheitsverlauf ist.
Schließlich gehört zur Prehabilitation optimalerweise natürlich auch noch eine psychosoziale Betreuung der Patienten, vor allem wenn sie alleinstehend sind. Die Patienten müssen die Diagnose Krebs und vielleicht auch den Rückgang ihrer körperlichen Leistungfähigkeit verkraften und sind mitunter antriebsarm oder sogar depressiv. Hier reicht es nicht aus, sie nur zu besserer Ernährung und körperlicher Bewegung anzuhalten.
Es gibt noch zahlreiche weitere Dinge, die zur Prehabilitation beitragen, so sollten beispielsweise die Patienten vor einer OP möglichst nicht mehr rauchen oder zumindest weniger rauchen Es gibt also ein ganzes Bündel an Maßnahmen, die man machen kann. Aber die drei wichtigsten sind: Ernährung, Bewegung und der Ausgleich der Blutarmut.
Bei welcher Zeitdimension setzt die Prehabilitation an? Sind das Tage, Wochen oder Monate vor der OP?
Also das hängt von der Dringlichkeit der Operation ab: Wie viel Zeit kann ich mir für die Prehabilitation nehmen? So ist beispielweise die Operation eines künstlichen Hüftgelenks aus medizinischer Sicht planbar und die Patienten warten oft monatelang auf einen OP-Termin. Da können Sie im Prinzip die ganze Wartezeit nutzen. Anders ist es bei Krebserkrankungen, wo man sicherlich nicht Monate Zeit zur Verfügung hat.
Was wäre so ein Minimum an Zeit, das Sie brauchen, damit Preha-Maßnahmen ihre Wirkungen entfalten können?
Also das Minimum, das Sie brauchen, sind etwa drei Wochen. Ein viel größeres Problem als der Zeitbedarf ist die Angst der Patienten. Sobald die Diagnose Krebs gestellt wird, ist der erste Impuls: Oh Gott, ich muss so schnell wie möglich operiert werden. Jeder Patient will natürlich den Tumor sofort loswerden.
Und dann müssen wir den Patienten erklären, dass wir ihn nicht sofort operieren, sondern die Operation drei oder vielleicht sogar vier Wochen verschieben. Es gibt inzwischen viele Daten, die belegen, dass das langfristige Ergebnis nach der Operation umso besser ist, je besser der Allgemeinzustand des Patienten vor der Operation ist - selbst wenn dafür die Operation erst später stattfinden kann. Davon muss man den Patienten aber erst einmal überzeugen.
Da geht es also um eine ganz konkrete Abwägung von Nutzen und Risiken, aber unter Berücksichtigung dieses psychologischen Elements …
Natürlich könnte man die Patienten auch sofort operieren und genau das haben wir ja über Jahrzehnte auch gemacht. Aber wenn der Erholungprozess nach der Operation dann extrem lange dauert und dadurch vielleicht die notwendige Chemotherapie, die sich oft ja anschließt, nicht durchführbar wird, dann tun wir dem Patienten nichts Gutes.
Außerdem wissen wir auch, dass Patienten in einem schlechten Allgemeinzustand ein höheres Risiko für Komplikationen, wie z.B. Wundinfektionen und Wundheilungsstörungen haben, beispielsweise durch den Eiweißmangel.
All das zusammengenommen bedeutet: Wir müssen den Zustand des Patienten vor der Operation optimieren. Und dafür akzeptieren wir auch eine Verschiebung der Operation um mehrere Wochen. Wir versuchen die Prehabilitation möglichst innerhalb von drei Wochen hinzukriegen, weil dieser Zeitraum für die Patienten akzeptabel ist. Wenn es sehr viel länger wird, wird es für die Betroffenen einfach auch psychisch sehr belastend.
Ich erkläre meinen Patienten oft: Einen Tumor, den ich heute sehe und operieren kann, der ist auch in drei Wochen sicher operabel. Tumore wachsen zwar, aber explodieren ja nicht.
Wenn wir jetzt auf die Belege in der Wissenschaft schauen: Welche Vorteile für die Prehabilitation lassen sich da zeigen? Wenn wir jetzt einfach die drei Kernbereiche nehmen: Ernährung, Bewegung, Bekämpfung der Blutarmut.
Die Vorteile der Prehabilitation konnten bereits belegt werden. So wissen wir, dass Patienten, bei denen wir die Blutarmut ausgleichen, viel seltener Bluttransfusionen während oder nach der Operation benötigen. Bluttransfusionen sind immer noch mit einem gewissen Infektionsrisiko behaftet, aber was viel wichtiger ist: die Langzeitergebnisse von Patienten, die keine Bluttransfusion während der Operation gebraucht haben, sind besser als die von Patienten, die transfundiert werden mussten. Daher versuchen wir wenn möglich, Bluttransfusionen zu vermeiden.
Das andere ist der Eiweißmangel. Der Körper braucht zur Heilung der Wunden, die wir bei einer Operation setzen, Eiweiß. Wenn ein Mangel dieses Bausteins herrscht, dann funktioniert die Wundheilung nicht so richtig. Das heißt, es kann zu Wundheilungsstörungen kommen, sei es an der Haut oder aber im Köperinneren, an Stellen, an denen bei der Operation Gewebe aneinander genäht wurde, verschiedene Darmabschnitte beispielsweise. Diese inneren Verbindungen müssen ja auch zusammenwachsen. Und das funktioniert eben auch schlechter, wenn jemand einen ausgeprägten Eiweißmangel hat. Da gibt es eindeutige Belege, dass ein Ausgleich der Mangelzustände vor der OP das Risiko für Komplikationen verringert.
Und die körperliche Fitness ist eben gerade für ältere Patienten wichtig: Je größer die Operation, umso höher ist das Risiko für den Patienten nachher nicht wieder die ursprüngliche Leistungsfähigkeit zu erreichen. Dieses Risiko können wir zwar auch mit Training nicht komplett beseitigen. Aber wir wollen es eben möglichst gering halten. Und das kann man erreichen, in dem man die Patienten "fit für die Operation" macht.
Nun können die meisten Patientinnen und Patienten eine Reha - ob pre- oder post - ja in der Regel nur richtig gut nutzen, wenn sie im Gesundheitssystem etabliert ist. Wie steht es da um die Preha?
Ja, das ist noch ganz schwierig, weil die Prehabilitation ja ein sogenanntes sektorübergreifendes Verfahren ist. Also eine Zusammenarbeit sowohl des stationären Sektors (Krankenhaus) als auch des ambulanten Sektors (niedergelassene Ärzte) benötigt. Die Hausärzte können das nicht alles alleine bewerkstelligen, das ist unmöglich.
Außerdem müssen wir auch oft noch immer Überzeugungsarbeit leisten - nicht nur bei den Patienten sondern auch bei den Hausärzten. Der Vorteil der Methode hat sich noch nicht überall herumgesprochen.
Außerdem fehlt im Moment auch noch die Finanzierung. Vieles wird - weil es eben gut für die Patienten ist - geleistet, ohne dass die Leistung vergütet wird. Wir hoffen natürlich, dass sich das ändert, vor allem weil Prehabilitation langfristig Kosten spart. Denn wenn die Patienten die Operation sehr gut überstehen - dann entstehen natürlich auch weniger Kosten. Aber es fehlt noch ein vernünftiges System, um dieses Vorgehen in beiden Sektoren zu vernetzen. Denn wir wollen die Patienten für die Physio- und Ernährungstherapie ja eigentlich nicht stationär aufnehmen - das kann problemlos zu Hause und ambulant laufen.
Hier sind noch Verbesserungen notwendig, damit wir unser Ziel, eine gute Lebensqualität auch nach großen Eingriffen für möglichst viele Patienten erreichen können.
Frau Prof. Nüssler, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Lucia Hennerici