Interview l Therapie mit CBD - Cannabidiol gegen Schmerz: wirksam - aber nicht allein
Es gilt als "harmloser" Hanf-Inhaltsstoff: Cannabidiol. Ohne die abhängig machende und berauschende Substanz Tetrahydrocannabinol (THC), wirkt Cannabidiol muskelentspannend, angstlösend und entzündungshemmend. Eigenschaften, die in der Schmerzmedizin immer stärker erkannt und genutzt werden.
Was Cannabidiol in Kombination mit den anderen Inhaltsstoffen der Hanfpflanze leisten kann, hat rbb Praxis-Reporterin Ursula Stamm Norbert Schürmann gefragt. Der Schmerz- und Palliativmediziner hat auch an der Leitlinie "Cannabis in der Schmerzmedizin" der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin mitgearbeitet.
Welche Rolle spielt Cannabidiol in ihrem Alltag bei der Behandlung von Schmerzpatienten und Schmerzpatientinnen?
Inzwischen weiß man, dass die Hanfpflanze über 100 verschiedene Stoffe enthält, zum Beispiel auch sekundäre Pflanzenstoffe wie Flavoniode und Terpene und eben auch Cannabidiol (CBD). Langsam verstehen wir immer besser, welche Wirkung diese Inhaltsstoffe haben und vor allem, wie sie auch gemeinsam wirken.
Wir wissen zum Beispiel, dass Cannabis-Medikamente, die CBD in ausreichender Menge enthalten, besser gegen Schmerzen wirken - bei gleichzeitig niedriger Dosierung von Tetrahydrocannabinol (THC). Und zwar moduliert das CBD den Rezeptor für THC und sorgt dafür, dass weniger THC nötig ist, um eine schmerzlindernde Wirkung zu erzielen.
Hinzu kommt, dass das CBD ja auch krampflösend wirkt und viele Schmerzpatienten neigen zu krampfartigen Schmerzen und sind angespannt - denen hilft diese Kombination sehr gut.
Wann genau setzen Sie Cannabinoide ein und ich welcher Form?
Wir können Cannabinoide verschreiben und einsetzen, wenn die Standard-Therapieverfahren der Schmerzbehandlung nicht ausreichend gewirkt haben. Das ist also eine Add-on-Therapie.
Chronische Schmerzpatienten bekommen ja häufig auch Opioide und da wissen wir, dass Cannabinoide deren Wirkung verbessern können. Dadurch kann die Dosis der Opioide verringert werden, was auch die Nebenwirkungen der Opioide reduziert.
Will man mit Cannabinoiden Schmerzen lindern, raten wir davon ab, Cannabis zu rauchen, weil es dabei zu einer schnellen Anflutung von THC kommt, was mit vielen Nebenwirkungen verbunden ist. Hinzu kommt, dass das THC in der gerauchten Form auch nicht so gut wirken kann, weil der Gehalt von CBD in der gerauchten Form zu niedrig ist, um seinen verstärkenden Effekt auf das THC auszuüben.
In der Schmerztherapie mit Cannabinoiden wollen wir konstante Konzentrationen der Stoffe im Körper, die nur langsam und kontinuierlich abgebaut werden. Und das erreicht man nur mit oralen Cannabinoiden. Da gibt es inzwischen viel Erfahrung mit verschiedenen Kombinationen aus THC und CBD.
Worüber wir noch wenig wissen, ist die Wirkung von so genannten Vollextrakten der Hanfpflanze, die deutlich mehr Inhaltsstoffe enthalten. Wir wissen nur, dass in Studien die Vollextrakte besser abschneiden, als wenn wir nur THC oder THC und CBD geben. Das heißt: Diese anderen Substanzen, die in der Pflanze enthalten sind, haben schon ihre Wirkung und ihren Einfluss.
Wie kommen Patienten und Patientinnen jenseits einer Schmerzklinik an Präparate mit Cannabidiol?
Wenn wir Patienten mit Angst und Angespanntheit haben, dann empfehlen wir ihnen durchaus, Cannabidiol über die Apotheken zu beziehen. Dort wird durch Apotheker CBD in den verschiedenen Konzentrationen hergestellt, was garantiert, dass eine definierte und nachweisbare Konzentration von Cannabidiol in dem Produkt enthalten ist. Das ist bei Fertigarzneien aus dem Internet zum Beispiel nicht immer der Fall (siehe unten).
Für ein solches eigens hergestelltes CBD-Präparat braucht man allerdings ein Rezept von einem Arzt oder einer Ärztin. Das ist in der Regel ein Privatrezept, da die Gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für CBD nicht übernehmen. Das liegt daran, dass Cannabidiol nicht unter das "Cannabis-Gesetz" fällt.
Anders ist das bei Cannabis-Arzneien, die mehr als 0,2 Prozent THC enthalten - solche Medikamente fallen unter das Betäubungsmittelgesetz. Damit die Krankenkasse die Kosten für dieses medizinische Cannabis übernimmt, muss eigens ein Antrag bei der Krankenkasse gestellt werden.
Das ist für alle Beteiligten recht aufwändig. Wir sind aber von der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin in Gesprächen mit den Krankenkassen, unter anderem mit der AOK, um dieses Verfahren zu vereinfachen.
Schmerztherapeuten und Ärztinnen, die im Bereich Cannabis besonders geschult sind, sollen dann den Patienten Cannabis auch direkt verschreiben können. Dafür wäre dann zwar immer noch ein Betäubungsmittelrezept notwendig; aber es wäre trotzdem eine große Erleichterung, wenn die Antragstellung vorab wegfiele.
Was weiß man über die Wirkung von Fertigarzneien, die man zum Beispiel im Internet bestellen kann?
Diese handelsfertigen CBD Produkte haben in der Regel eine fünfprozentige Konzentration von reinem Cannabidiol. Da wissen wir inzwischen, dass die Konzentration viel zu gering ist, um überhaupt einen Effekt zu erzielen. Es gibt auch Studien, die zeigen, dass CBD allein keine Schmerzreduktion erzielt. Das geschieht nur im Zusammenspiel mit anderen Inhaltsstoffen der Cannabispflanze bzw. mit dem THC.
Es gibt Kollegen, die sagen, dass der CBD-Gehalt in der Zubereitung 20 mal so hoch sein müsste, wie der THC Gehalt. Das glaube ich jetzt nicht. Aber es gibt zum Beispiel Fertigprodukte, wo auf fünf Milligramm THC dann 20 Milligramm CBD kommen; das ist schon mal ein ganz anderes Wertverhältnis.
Durch die bereits angesprochene verstärkende Wirkung des CBD kann das THC niedriger dosiert werden, wodurch die unerwünschte psychogene Wirkung des THC geringer und die schmerzlindernde Wirkung stärker ausfällt.
CBD-Produkte aus dem Internet erfüllen nicht immer das, was Verbraucher und Verbraucherinnen sich davon versprechen. Vor allem, weil die Inhaltsstoffe nicht stimmen. So empfiehlt die Stiftung Warentest in einer Untersuchung von Januar 2021 keines der 17 untersuchten CBD-Produkte, unter anderem weil der THC-Gehalt bei vier Produkten deutlich zu hoch ausfiel.
Haben Menschen immer noch Vorurteile bezüglich einer Behandlung mit Cannabinoiden?
Gerade bei älteren Menschen erlebe ich das immer noch. Das hängt auch damit zusammen, dass viele nicht mitbekommen haben, welche Entwicklung es in der Behandlung mit Cannabinoiden in den letzten Jahren gegeben hat.
Wir hatten vor 30 Jahren Cannabis, was geraucht wurde und Opiate, die gespritzt wurden, was die Patienten sehr schläfrig gemacht hat. Und das ist ja nicht das Ziel unserer Therapie in der Schmerzambulanz.
Ich habe inzwischen viele berufstätige Patienten, die kriegen ihre langsam wirkenden Opioide oder Cannabinoide und gehen damit arbeiten wie jeder andere auch und bewältigen ihren Alltag. Das ist ja das Entscheidende dabei, dass die Menschen durch die Schmerztherapie nicht eingeschränkt werden und trotzdem der Schmerz reduziert wird.
Die Angst vor körperlicher oder psychischer Abhängigkeit ist bei den langsam wirkenden Cannabinoiden - die ja wegen der Schmerzen gegeben werden - unbegründet. Eine solche psychische Abhängigkeit entsteht nur, wenn ich Cannabis rauche, weil dann schnell hohe Wirkstoffspiegel von THC entstehen, die diesen "Kick" ausmachen.
Und wie sieht es mit den Vorurteilen bei behandelnden Ärzten und Ärztinnen aus?
Da gibt es auf jeden Fall Fortbildungsbedarf. Wir von der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) bauen gerade Kurse auf, um die Ärzte zu schulen. Und dabei geht es nicht nur um das medizinische Cannabis.
Ich höre immer wieder von Patienten, dass sie auf einer unteren Stufe von Schmerzmedikamenten hängengeblieben sind und dann weitere Medikamente nicht gegeben worden sind. Das heißt: Eine Kombination aus mehreren Medikamenten, die findet oft gar nicht statt. Und da müssen wir die Schmerztherapie insgesamt fördern - so, dass sich die Kollegen und Hausärzte auch viel mehr trauen; sich zum Beispiel trauen, auch andere Opioide und Co-Analgetika wie Cannabinoide zu verordnen.
Eine Ausnahme gibt es allerdings: Und zwar bei Patienten unter 25 Jahren, weil deren Hirn noch nicht ausgereift ist. Wir wissen, dass es dadurch im jugendlichen Alter ein erhöhtes Risiko gibt, unter Cannabis-Konsum eine Psychose zu entwickeln. Und deswegen ist auch die Empfehlung der DGS, Patienten unter 25 Jahren nicht mit Cannabinoiden zu behandeln.
Was ist zum Einsatz von CBD bei psychischen Problemen oder Erkrankungen zu sagen?
Da kann es durchaus sehr sinnvoll sein. Denn CBD wirkt angstlösend und entspannend und hilft manchen Patienten auch dabei, wieder besser zu schlafen. Und das, ohne eine euphorisierende oder psychogene Wirkung.
Man sollte aber mindestens 10 bis 20 prozentiges CBD nehmen, weil bei einer geringeren Dosierung keine ausreichende Wirkung vorhanden ist. Und da würde ich empfehlen, sich das vom Apotheker zubereiten zu lassen, weil man dann weiß, dass da auch wirklich die Konzentration drin ist, die man haben möchte.
Ich würde aber nicht nur auf die medikamentöse Schiene setzen, sondern auch auf andere Entspannungsverfahren, wie Autogenes Training oder Yoga.
Herr Schürmann, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Ursula Stamm