Selbstmedikation ist gefährlich! - FAQ: Jodtabletten bei radioaktiver Strahlung
Wegen des Kriegs in der Ukraine sorgen sich viele Menschen vor radioaktiver Strahlung und kaufen sich deshalb Jodtabletten. Doch wie sie wirken, wann und wie man sie überhaupt richtig einsetzt - das wissen die Wenigsten. rbb Praxis hat die wichtigsten Antworten im Interview mit Achim Neuhäuser vom Bundesamt für Strahlenschutz zusammengetragen.
Aus Angst vor Folgen des Krieges in der Ukraine versuchen gerade viele Menschen vorsorglich Jodtabletten zu kaufen. Wie sinnvoll ist das?
Angesichts der Meldungen aus der Ukraine kann ich diese Sorgen verstehen. Wir haben die Entwicklungen als Bundesamt für Strahlenschutz ganz genau im Blick. Aktuell gibt es keine Meldungen, Werte und Daten, die auf einen erhöhten Anstieg an Radioaktivität hinweisen.
Zum jetzigen Zeitpunkt wäre der Kauf von Jodtabletten nicht sinnvoll und von einer vorsorglichen Einnahme raten wir dringend ab.
Im Ernstfall: Wie könnte die Einnahme von Jod helfen?
Jod wird vom Körper aufgenommen, lagert sich in der Schilddrüse ab, und wird wieder ausgeschieden. Radioaktives Jod kann Krebs auslösen.
Wenn die Gefahr besteht, radioaktives Jod durch die Atmung aufzunehmen, kann durch die Einnahme von Jod in einer erhöhten Dosis in Tablettenform vorgebeugt werden. Denn durch die Einnahme von Jod in Tablettenform ist die Aufnahme der Schilddrüse gesättigt und radioaktives Jod kann sich nicht mehr ablagern.
Wann ist die Einnahme sinnvoll?
Das ist nur dann sinnvoll, wenn akut die Gefahr besteht, radioaktives Jod aufzunehmen. Wir nennen das einen radiologischen Notfall. Der besteht, wenn es zu einer Freisetzung im unmittelbaren Umfeld kommt, das wäre in einem Radius von 100 Kilometern der Fall.
Wenn das passiert, würden die Behörden auffordern, zusätzliches Jod einzunehmen. Dies würde an die Bevölkerung verteilt werden, da es entsprechende Vorratslager mit Jod-Tabletten gibt.
Also eine Jodeinnahme sollte wirklich nur auf Aufforderung der Behörde erfolgen.
Was ist bei der Einnahme von Jod-Tabletten zu beachten?
Menschen bis 45 Jahre sollten nach Aufforderung der Behörden die für ihre Altersgruppe erforderliche Menge einnehmen. Diese Tabletten sind viel höher dosiert als Tabletten für Menschen, die normalerweise Jodit einnehmen.
Von einer selbständigen Einnahme der Tabletten wird dringend abgeraten, insbesondere weil es aktuell überhaupt keinen Grund dafür gibt. Zudem birgt eine Selbstmedikation erhebliche gesundheitliche Risiken.
Bestünde aufgrund der Entfernung zur Ukraine überhaupt eine Gefahr?
Wir haben verschiedene Szenarien, die wir betrachten. Dazu gehört auch der Kernkraftwerksunfall. Das ist das, wovor viele Menschen wegen der Kampfhandlungen in der Ukraine Angst haben. Die Kampfhandlungen könnten dazu führen - müssen es allerdings auch nicht - dass die dortigen Atomkraftwerke in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Schädigung müsste man sich im Einzelfall anschauen, vor allem was an Radioaktivität freigesetzt wird.
Wenn eine Kernschmelze erfolgt, wird auch Jod ausgebracht, dieses Jod kann zu Schilddrüsenkrebs führen. Wenn das erfolgt, besteht das Risiko vor allem in einem bestimmten Umkreis um den Unfallort. Sollte so ein Ereignis in der Ukraine erfolgen, ist es zu weit weg.
Wenn es in der Ukraine zu einem Ereignis kommen sollte - und ich möchte noch mal betonen, dass das aktuell nicht der Fall ist - würden sich die Maßnahmen in Deutschland wahrscheinlich auf die Landwirtschaft beschränken. Das heißt, es müsste zum Beispiel gegebenenfalls abgeerntet oder Vieh aufgestallt werden.
Es kommt übrigens nicht nur darauf an, wie weit so ein atomares Ereignis weg ist - auch die Wetterbedingungen haben einen zentralen Einfluss. Das heißt, ob die radioaktive Wolke überhaupt in unsere Richtung kommt.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Neuhäuser.
Das Interview führte Laura Will.