Interview l "Schwere Verläufe in erster Schwangerschaftshälfte selten" - Schwanger in der Pandemie: COVID-19-Impfung
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die COVID-19-Impfung für Schwangere. Trotzdem sind viele Schwangere und Frauen mit Kinderwunsch verunsichert, wann und ob es überhaupt einen richtigen Zeitpunkt für die Impfung gibt. rbb Praxis-Reporterin Laura Will hat mit Gynäkologin und STIKO-Mitglied Dr. Marianne Röbl-Mathieu darüber gesprochen.
Frau Dr.ann wird eine Impfung in der Schwangerschaft und Stillzeit empfohlen?
Die STIKO empfiehlt noch ungeimpften Schwangeren ab dem zweiten Trimenon zwei Dosen des Biontech-Impfstoffs im Abstand von drei bis sechs Wochen.
In der Stillzeit kann die Impfung zu jedem Zeitpunkt erfolgen, bei unkompliziertem Verlauf auch bereits im Wochenbett.
Noch ungeimpften Stillenden unter 30 Jahren empfiehlt die STIKO zwei Dosen Comirnaty Anm. d. Red.: von Biontech Pfizer] im Abstand von 3 - 6 Wochen, Frauen ab 30 Jahren kann alternativ auch Spikevax im Abstand von 4 - 6 Wochen verabreicht werden.
Warum darf man in Deutschland Schwangere erst ab dem zweiten Trimenon impfen?
In Deutschland werden Impfungen im ersten Drittel der Schwangerschaft generell nur zurückhaltend empfohlen. Das hat einen ganz pragmatischen Grund: Im ersten Drittel der Schwangerschaft sind Fehlgeburten recht häufig, sie treten bei etwa 15 Prozent der Schwangerschaften auf.
Die STIKO empfiehlt im ersten Drittel der Schwangerschaft nur dringend indizierte Impfungen, um zu verhindern, dass Fehlgeburten, die im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung auftreten, fälschlicherweise mit der Impfung in Zusammenhang gebracht werden und so im Einzelfall für die Betroffenen zu einer besonderen psychischen Belastung werden.
Bei den mRNA-Impfstoffen kommt hinzu, dass sie fieberhafte Reaktionen hervorrufen können. Eine fieberhafte Episode mit hohen Temperaturen kann in der Frühschwangerschaft eine Fehlgeburt begünstigen und unter Umständen zu Fehlbildungen des Kindes führen. Fieber von 39 Grad oder mehr nach der Impfung mit einem mRNA-Impfstoff wurde in Registeranalysen bei Schwangeren allerdings deutlich seltener beobachtet als bei nichtschwangeren Frauen.
Insgesamt sind schwere Verläufe von COVID-19 in der ersten Schwangerschaftshälfte selten. Es gibt in Deutschland das sogenannte CRONOS - Register, das schwangere Frauen mit COVID-19 erfasst.
Stand August 2021 gab es 104 schwere COVID -19 -Verläufe bei Schwangeren, die eine intensivmedizinische Behandlung erforderlich machten. Von diesen Schwangeren haben sich nur vier Frauen in der ersten Schwangerschaftshälfte infiziert, also vor der 20. Schwangerschaftswoche.
Welche Erklärung gibt es dafür?
Das kann zum einen mit physiologischen Veränderungen des Immunsystems im Verlauf der Schwangerschaft zu tun haben. Es ist ja so, dass die genetischen Eigenschaften des Kindes zur Hälfte nicht von der Mutter stammen. Für eine erfolgreiche Schwangerschaft muss der Fetus durch das mütterliche Immunsystem toleriert werden.
Diese veränderte Balance des mütterlichen Immunsystems kann mit einer Schwächung der Immunabwehr gegen bestimmte Krankheitserreger verbunden sein.
Mit zunehmendem Schwangerschaftsalter und Wachstum der Gebärmutter kommt es außerdem zu einer gewissen Beeinträchtigung der Lungenfunktion. Dadurch sind schwangere Frauen anfälliger für schwere Verläufe von Erkrankungen wie COVID-19, die vornehmlich die Atemwege betreffen.
Was ist, wenn sich Frauen in der Schwangerschaft mit COVID-19 infizieren - können alle Medikamente verwendet werden?
Dazu gibt es eine Leitlinie Empfehlungen zur stationären Therapie von Patienten mit COVID-19, die ständig aktualisiert wird.
Die Mehrheit der Arzneimittel, die dort empfohlen werden, sind trotz Empfehlung in der Leitlinie nicht zur Therapie von COVID-19 Patienten in der Anwendung zugelassen. Die meisten Medikamente werden somit im sogenannten "off-label use" angewendet. Die Datenlage zur Wirksamkeit und Sicherheit dieser Medikamente ist insgesamt begrenzt.
Natürlich betrifft das die Untergruppe der Schwangeren noch mehr. Die meisten der empfohlenen Mittel können grundsätzlich auch bei Schwangeren angewandt werden. Die Leitlinie enthält aber auch explizite "evidenzbasierte Negativempfehlungen" für Wirkstoffe, die bei der Therapie schwangerer Frauen nicht eingesetzt werden sollen.
Wie hoch ist das Risiko bei einer Corona-Infektion das Kind zu verlieren?
Die Datenlage zum Risiko für Fehlgeburten bei einer COVID-19-Erkrankung war etwas uneinheitlich, das Risiko scheint aber nicht signifikant erhöht zu sein.
Allerdings ist im Falle einer COVID-19-Infektion das Risiko eine Frühgeburt zu erleiden, etwa um den Faktor 1,5 bis 1,8 erhöht.
Dieses Risiko steigt etwa ab der 30. Schwangerschaftswoche an. Dabei handelt es sich weniger um spontane Frühgeburten, sondern um die Beendigung von Schwangerschaften aus medizinischen Gründen, häufig auch per Kaiserschnitt.
Eine Übertragung einer SARS-CoV-2- Infektion von der Mutter auf das Neugeborene scheint insgesamt selten zu sein und löst beim Neugeborenen auch nur in seltenen Fällen Symptome aus.
Ein Risiko für das Kind, in den ersten Lebenswochen auf einer Intensivstation behandelt zu werden, besteht vor allem bei Neugeborenen, die zu früh auf die Welt kommen. Insgesamt haben 10 Prozent der Schwangeren einen schweren Krankheitsverlauf, vier Prozent müssen intensivmedizinisch behandelt werden, das heißt ihr Risiko ist im Vergleich zu nicht schwangeren Frauen etwa 2-5 Mal höher.
Was würden Sie Frauen raten, die schwanger werden wollen?
Ich würde jeder Frau, die einen konkreten Kinderwunsch hat - aber auch allen anderen Frauen im gebärfähigen Alter - empfehlen sich schon vor einer Schwangerschaft impfen zu lassen, damit dieser sehr gute Schutz, der durch die Impfung ausgelöst wird, von Beginn der Schwangerschaft vorhanden ist.
Frau Dr. Röbl-Mathieu, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Laura Will