Interview | Hilfe durch psychoonkologische Betreuung - Besser leben mit Krebs
Fast 500.000 Menschen jährlich erhalten in Deutschland die Diagnose Krebs. Durch verbesserte Therapien leben viele Patienten inzwischen länger. Doch nicht selten leiden sie auch unter den Folgen der Therapie, haben Probleme ins Berufsleben zurückzukehren, ihren gewohnten Alltag zu gestalten. Psychoonkologische Angebote können helfen.
Das Problem: Psychologische und soziale Hilfestellungen gibt es viel zu selten, sagt Prof. Dr. Anja Mehnert, Psychoonkologin und Leiterin der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie am Universitätsklinikum Leipzig. Gerade erst fand in Berlin ein internationaler Kongress zu diesem Thema statt, den sie federführend organisiert hat.
Frau Prof. Mehnert, wer eine Krebserkrankung überlebt hat, ist ja erstmal sehr froh, wann fangen die Probleme an?
Die meisten Patienten sind natürlich sehr erleichtert über das Ende der Therapie und dann stellen sich zeitnah oder auch später die Probleme ein. Manche sind gut darüber informiert, andere werden davon völlig überrascht. Es ist auch nicht so einfach zu entscheiden, wie umfangreich man die Patienten vorher aufklärt, weil man ja auch keine unnötigen Ängste schüren will und die Forschung hier erst begonnen hat. Wenn eine Therapieentscheidung ansteht, sagen die meisten Patienten ja auch, dass es erstmal zweitrangig ist, was in zehn oder fünfzehn Jahren ist. Sie wollen in erster Linie gesund werden.
Welche Probleme haben Patienten, die eine Krebserkrankung überlebt haben?
Neue Studien zeigen, dass – verglichen mit der Allgemeinbevölkerung - nur etwa ein Viertel der Patienten, die den Krebs überleben, eine gute Gesundheit haben. Die anderen haben verschiedene gesundheitliche Probleme, ganz häufig leiden sie unter Erschöpfungszuständen, der sogenannten Fatigue. Aber auch unter Schmerzen, körperlichem Unwohlsein, kognitiven Einschränkungen, Aufmerksamkeitsstörungen und Nervenschädigungen, zum Beispiel in den Händen oder Füßen. Aber auch die Psyche ist bei vielen Betroffenen nicht mehr so stabil. Sie haben Angst, dass der Krebs wiederkommt und auch die körperlichen Einschränkungen belasten psychisch. Daraus entstehen Probleme in der Partnerschaft und auch die Rückkehr in den Beruf ist nicht so einfach.
Wie unterscheiden sich die Langzeitfolgen einer Krebserkrankung je nach Lebensalter?
Lange haben wir hauptsächlich die Probleme der Betroffenen im mittleren Lebensalter betrachtet, also Wiedereinstieg in den Beruf, Familie, Kinderversorgung, aber auch finanzielle Schwierigkeiten. Inzwischen werden stärker auch die Probleme von jungen und alten "Survivors" wahrgenommen. Junge Erwachsene sind ja körperlich und psychisch noch in einem Entwicklungsprozess, also zum Beispiel der Abnabelung vom Elternhaus, Freunde oder Partner zu finden, aber auch die eigene Körperlichkeit und Sexualität gilt es zu entdecken. Und wenn man in dieser Lebensphase Krebs bekommt, dann sind die jungen Erwachsenen oft wieder stärker an das Elternhaus gebunden, sind hilfebedürftig und auf Pflege angewiesen. Eine Chemotherapie verzögert zum Beispiel die körperliche Entwicklung während der Pubertät. Auf der anderen Seite reifen diese Jugendlichen schneller; beides Prozesse, die dann auch wieder psychosoziale Folgen, zum Beispiel in Beziehungen haben. Ältere Menschen sind psychisch oft stabiler, weil sie schon häufiger Lebenskrisen bewältigt haben. Sie leiden vermehrt darunter, dass sie noch andere Erkrankungen haben. Aber auch Einsamkeit und das Fehlen sozialer Bindungen spielen bei ihnen eine große Rolle.
Welche Hilfestellung können Psychoonkologen geben?
Ein wichtiger Punkt ist, dass wir den Patienten sagen, dass sie mit den Langzeitfolgen und Problemen nicht allein sind, sondern dass das relativ normal ist. In Krankenhäusern und Krebszentren, die von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziert sind, ist ein Psychoonkologe vor Ort. Die führen meistens Einzelgespräche mit den Patienten und Angehörigen. In der Rehabilitation gibt es immer psychoonkologische Mitbetreuung. Dort finden häufig Gruppenangebote, zum Beispiel Entspannungsverfahren, aber auch Einzelgespräche statt. Im ambulanten Bereich ist die Versorgung schon sehr viel schwieriger, weil es stark davon abhängt, wo sie wohnen. Es gibt Krebsberatungsstellen, die sind aber nicht regelfinanziert und nicht alle bieten neben der sozialen auch eine psychologische Beratung an. Sie können natürlich ambulant auch zu einem Psychotherapeuten gehen. Da ist aber das Problem, dass es oft lange Wartezeiten gibt und dass nicht alle Psychotherapeuten auch Krebspatienten annehmen. Es ist also nicht einfach, nach der akuten Behandlung und der Reha-Phase einen guten Psychoonkologen zu finden, obwohl die Angebote, die wir haben sehr wirksam sind und vielen Patienten und Angehörigen helfen.
Wie wird man überhaupt Psychoonkologe?
In den allermeisten Fällen sind das Psychologen, Ärzte, Psychotherapeuten, seltener auch Sozialpädagogen, die eine Weiterbildung in Psychoonkologie absolviert haben. Die fachlich anerkannten psychoonkologischen Weiterbildungen sind alle von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziert, trotzdem ist die Berufsbezeichnung nicht geschützt. Leider gibt es hierzulande nicht genügend qualifizierte Kolleginnen und Kollegen, um eine ausreichende Versorgung zu gewährleisten.
Was müsste sich aus Ihrer Sicht verbessern?
Neben mehr qualifizierten Kollegen brauchen wir eine gesicherte Regelfinanzierung der psychoonkologischen Versorgung. Es kann nicht sein, dass Millionen ausgegeben werden für die medizinische Versorgung und die psychosoziale Betreuung zum Teil aus Spendengeldern oder von den Patienten selbst finanziert werden muss. Wir fordern, dass ein Basisangebot regelfinanziert von den Kranken- und Rentenkassen zur Verfügung steht. Nicht alle Patienten brauchen das, aber man kann sagen, dass ungefähr ein gutes Drittel der Betroffenen sehr von psychologischer Unterstützung profitiert.
Wie realistisch sind Veränderungen in diese Richtung in naher Zukunft?
Auf dem Kongress in der vergangenen Woche in Berlin waren auch Vertreter des Bundesgesundheitsministeriums und in der Sache sind sich alle einig. Die Bedeutung der psychoonkologischen Versorgung ist auch im Nationalen Krebsplan formuliert, den es seit 2008 gibt. Die Umsetzung ist aber nicht so einfach, zum Beispiel konkrete Leistungsbeschreibungen zu formulieren, festzulegen, wer was machen darf und wofür wieviel Geld gezahlt wird. Wir sind da ganz zuversichtlich, aber jetzt ist ja im September erst mal Bundestagswahl und davor wird nicht mehr viel passieren. Es wird allerdings gerade eine Bestandsaufnahme durchgeführt, die auflistet, wie viele Angebote es in Deutschland überhaupt gibt, und das ist auch ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Wie verändert 'Krebs als chronische Erkrankung' unsere Gesellschaft?
Wir leben ja in einer extremen Leistungsgesellschaft, wo es sehr darauf ankommt, dass wir alle "funktionieren". Die Menschen werden alle älter als früher und viele bleiben ja auch länger gesund, was sehr positiv ist. Auf der anderen Seite sind Krankheiten wie Krebs, auch wenn sie chronisch werden, ja mit Einschränkungen in der Leistungsfähigkeit verbunden. Meine Hoffnung ist, dass die Gesellschaft sensibler dafür wird, dass wir alle verletzlich sind. Und dass man nicht pauschal Menschen mit Krebs oder anderen Erkrankungen im Beruf abstempelt. Sondern sieht, dass sie auch gute Mitarbeiter sein können, die vielleicht besonders motiviert sind. Damit verbunden ist aber auch die Notwendigkeit, Arbeitsplätze anders zu strukturieren und ganz allgemein etwas von dem enormen Leistungsdruck wegzunehmen, der auch gesunden Mitarbeitern zu schaffen macht. Die medizinische Versorgung von Krebspatienten ist in Deutschland ja wirklich sehr gut, aber was wir immer wieder beobachten ist, dass die Seele ein bisschen auf der Strecke bleibt. Und das wollen wir ändern.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Mehnert.
Das Interview führte Ursula Stamm