Der Krimi aus Brandenburg: Die Raaben und das tote Mädchen - Drei Fragen an Drehbuchautor Alexander Buresch
"Der Krimi aus Brandenburg: Die Raaben und das tote Mädchen" ist ein neuer Donnerstagskrimi. Wie ist die Idee zum Drehbuch entstanden?
Die Produzenten Heike Voßler und Karsten Rühle kamen mit der Idee einer neuen Krimireihe auf mich zu, und ich war von der Herausforderung begeistert, etwas zu einem frischen Format beizutragen, und eine ungewöhnliche Reihenhauptfigur zu erschaffen: Tonja Raabe, eine Ermittlerin mit Synästhesie, eine "neurologisch diverse" Hauptfigur. Sie hat eine "Special Power", von der sie selbst nicht weiß, ob sie Segen ist oder Fluch. Ich finde es toll, dass die Redaktion bereit war, sich auf dieses Abenteuer einzulassen! Denn Tonja ist ja durchaus eine Herausforderung: Sie ist "anders", angeschlagen vom Leben, keine strahlende Heldin, sie ringt mit sich selbst. Ich hoffe, es ist uns gelungen sie gerade dadurch zu einer Figur zu machen, die uns nahekommt. An ihrer Unsicherheit können wir andocken, weil das ein Gefühl ist, das wir in uns selbst wiederfinden. Wir haben dann nach einem ersten Kriminalfall gesucht, der die Protagonistin persönlich aufwühlt.
Für die Krimihandlung ist immer auch die Täterfigur wichtig. Niemand wird grundlos zum Mörder, hinter jedem Verbrechen steht eine Geschichte, eine Art "moralisches Verbrechen". Für diese Geschichte haben wir nach einer Figur gesucht, die mit dem Gefühl des "Abgehängtseins" kämpft, die die Herausforderung des Strukturwandels in der Region verkörpert. Als der Fall klar war – die Entführung eines Kleinkindes – hat sich die restliche Dynamik zwischen den Figuren eigentlich von selbst ergeben: drei Paare in der Krise. Die Eltern des entführten Kindes kämpfen mit Verzweiflung und Schuldzuweisungen. Der Täter steckt in einer absurden Situation, weil er aus Überforderung plötzlich auf die Unterstützung seiner Frau angewiesen ist. Und dann eben die Ermittler, die Geschwister Tonja und Anton, mit ihrer eigenen Geschichte. Im Kern geht es in allen drei Beziehungen um Vertrauen.
Sie etablieren mit Tonja und Anton Raabe ein neues modernes Ermittler:innenduo: ein junges Geschwisterpaar mit einer besonderen familiären Vergangenheit. Was war Ihnen bei der Anlage der beiden Hauptfiguren wichtig?
Tonja hat – zusammen mit ihrem Bruder Anton – diese Wunde aus der Vergangenheit, das ungeklärte Verschwinden ihres kleinen Bruders vor mehr als 20 Jahren. Und der erste Fall sollte Tonja an diesem Punkt treffen: Ist sie bereit von der Vergangenheit loszulassen? Tonja klammert sich an die Hoffnung, dass der verschwundene Bruder noch lebt, während Anton den Verlust rationalisiert hat und deshalb nicht trauern kann. Beide werden in der Reihe lernen müssen, ihre Trauer zuzulassen und sich als Geschwister auf Augenhöhe zu begegnen. Tonja kämpft darum, Vertrauen in ihre Fähigkeiten zu finden, während Anton lernen muss, nicht länger den Beschützer zu spielen. Aber die Frage bleibt natürlich: Was, wenn der kleine Bruder eines Tages dann doch tatsächlich vor ihnen steht?
Schauplatz von "Der Krimi aus Brandenburg: Die Raaben und das tote Mädchen" ist Senftenberg in der Lausitz, eine Region zwischen alten Traditionen, Umbruch und Moderne und die Heimat der Sorben. Sie leben in Stuttgart, wie haben Sie sich der Region angenähert? Was hat Sie dazu inspiriert, den Krimi mit Elementen aus der Krabat-Sage zu verflechten?
Die Lausitz ist eine Region voller Kontraste. Es gibt die sorbische Tradition, und damit verbunden die Sagen und Legenden, das "Mystische" wenn man so will. Gleichzeitig ist die Landschaft geprägt von Tagebau und der Energiegewinnung, das Landschaftsbild deutlich geformt vom Eingriff des Menschen. Ein extrem spannender Gegensatz!
Bei unserer Recherche in Senftenberg haben wir einerseits festgestellt, dass sich Kleinstädte überall in Deutschland ähneln: Es ist klein und eng – man kennt sich untereinander und man ist eher skeptisch gegenüber dem, was von außen kommt. Senftenberg ist auf dieser Ebene nicht so viel anders als die Gegend, in der ich aufgewachsen bin in Baden-Württemberg. Aber dann gibt es in der Region unübersehbar auch das Erbe der DDR-Zeit. Seien es die Reste der Industrie, die Plattenbauten und "Garagen-Kultur" oder ein alter russischer Militärflughafen in der Nähe. Diese Vergangenheit ist überall präsent. Es ist ein Spagat, einem ostdeutschen Identitätsgefühl gerecht werden zu wollen und gleichzeitig eine Geschichte zu erzählen, die keine Stereotype bedient.
Wir haben einerseits nach Figuren gesucht, die ganz klar in der Region verortet sind, beispielsweise durch ihre sorbischen Wurzeln. Aber es war uns auch wichtig, eine Geschichte zu erzählen, die eine Gesamtdeutsche Realität abbildet. So ist die Geschichte um Amir und die Geflüchtetenunterkunft inspiriert von Ereignissen, die sich in der westdeutschen Provinz abgespielt haben. Und warum soll es in Senftenberg keine Au-Pairs geben? Ich denke, es tut uns als Gesellschaft insgesamt gut, wenn wir Gemeinsamkeiten nicht als etwas verstehen, was uns unserer Individualität und Identität beraubt, und Unterschiede nicht als etwas, das uns trennt.