Der Krimi aus Brandenburg: Die Raaben und das tote Mädchen - Im Gespräch: Regisseurin Nina Vukovic und Kameramann Valentin Selmke
"Der Krimi aus Brandenburg: Die Raaben und das tote Mädchen" ist ein neuer Donnerstagskrimi im Ersten. Was macht den Film aus, was hat Sie besonders an der Arbeit daran gereizt?
Nina Vukovic: Was uns an dieser Reihe besonders gereizt hat, war die besondere Mischung aus Krimi, Krabat-Mythos und dem tief verwurzelten Lokalkolorit der Lausitz. Wir haben es mit einer atmosphärischen Geschichte zu tun, die sich an einem Ort entfaltet, der von der sorbischen Kultur ebenso geprägt ist wie von den sozialen und wirtschaftlichen Umbrüchen der letzten Jahrzehnte. Das Sujet des Unerklärlichen, wenn ein Kind verschwindet, zieht sich wie ein roter Faden durch die Handlung und hat für mich als Regisseurin ein wunderbares Spannungsfeld eröffnet: zwischen Realismus eines Krimis und einer leicht surrealen Erzählsprache, die Raum für Interpretationen lässt.
1. Sie etablieren mit Tonja und Anton Raabe ein neues modernes Ermittler-Duo: Ein junges Geschwisterpaar mit einer besonderen familiären Vergangenheit, welche die Arbeit und das Leben der beiden immer wieder beeinflusst. Was war Ihnen bei der Darstellung und der Inszenierung der beiden besonders wichtig?
Tonja und Anton sind keine klassischen Ermittler, sie sind Geschwister, die eine gemeinsame Last tragen. Ihre Verbindung ist besonders, da sie mit jedem Fall, den sie lösen müssen, konfrontiert werden mit ihrer Unterschiedlichkeit: Tonja ist durch ihre Synästhesie, eine besondere Form der Wahrnehmung, anders für Signale empfänglich, sie ist beim Ermitteln die intuitive Denkerin. Anton hingegen ist der Polizist, der sie in der Vergangenheit oft schützen musste. Dass es ihm einmal nicht gelungen ist, verdrängt er jedes Mal von neuem. Er "hält sich zusammen", und fühlt sich auch für sie verantwortlich, ohne dass sie es will oder braucht.
Beide sind vulnerabel, Tonja begreift diese Eigenschaft als Kraft, Anton als Schwäche. Auch im Dienstgrad haben sie unterschiedliche Verantwortung: Er ist Kommissar, sie Teil der Bereitschaftspolizei. Das erzeugt eine interessante Dynamik zwischen den beiden. Bei der Inszenierung haben wir viel Wert auf die nonverbale Kommunikation gelegt – Blicke, kleine Gesten – um die Vertrautheit, aber auch die schwelenden Konflikte zu zeigen, die mitschwingen.
Schauplatz von "Der Krimi aus Brandenburg: Die Raaben und das tote Mädchen" ist Senftenberg in der Lausitz, eine Region zwischen alten Traditionen, Umbruch und Moderne. Worauf lag Ihr Hauptaugenmerk beim Erzählen der verschiedenen Handlungsstränge, dem mythischen Aspekt sowie bei der atmosphärischen Inszenierung bzw. der Kamera-Arbeit des Films?
Nina Vukovic: Die Lausitz ist eine Region, die von Gegensätzen lebt: Die fast märchenhafte Schönheit des Waldidylls mit ihren Flussläufen und Seen trifft auf die von Menschen geprägte Landschaft des Braunkohletagebaus. Diese landschaftlichen Nähte zwischen Veränderung und Verwurzelung wollten wir unbedingt für die Reihe urbar machen. Der mythische Aspekt entspringt der sorbischen Krabat-Legende, die sich wie ein Schatten über der Handlung legt, ohne sie zu überladen. Es ging uns darum, das Unerklärliche spürbar zu machen. Atmosphärisch hat die Kamera dabei eine zentrale Rolle gespielt: Mit immersiven Fahrten, die die Landschaft in Kontext zum Kriminalfall und zum Krabat Mythos setzen, wollten wir einen Sog erzeugen, wie er für das Crime-Sujet eher ungewöhnlich ist. Die Landschaft erzählt das Verschwinden mit. Es gibt aber auch dichte, intime Bilder, die sich auf die Suche nach den Geheimnissen der Figuren begeben.
Valentin Selmke: Uns war es dabei wichtig, die Region mit all ihren Facetten zu beleuchten. Die von Menschen gemachten riesigen Mondlandschaften im Kontrast mit der Moderne. Einer der größten Wind- und Solarparks in Deutschland, neu entstandene Seen und tiefe Wälder bieten vor allem landschaftlich einen großen filmischen Kontrast. Hierbei stellte der Wald für uns den Ankerpunkt dar, um die verschiedenen Spielorte in Berlin und Brandenburg zu verbinden. Ein Wald der für uns eine mystische und auch magische Welt zeichnen sollte. Außerdem wollten wir oft in der Dämmerung drehen, um das mystische Gefühl zu verstärken. Die Kamera sollte sich nie in den Vordergrund spielen, sondern stetig fließen. Nichtsdestotrotz dienen Suspense-Elemente in der filmischen Gestaltung dazu, den Blick oder ein Gefühl bei den Zuschauer:innen subtil zu führen.
Die Polizistin Tonja Raabe besitzt eine synästhetische Wahrnehmung, die sie auch im Job begleitet. Wie haben Sie sich der filmischen Umsetzung angenähert und worauf legten Sie bei der visuellen Darstellung wert?
Nina Vukovic: Synästhesie als besondere Verknüpfung von Sinneswahrnehmungen, wie zum Beispiel von Farben und Emotionen, ist schwer greifbar und doch unglaublich faszinierend. Es gibt viele Unterformen der Synästhesie. Tonja ist Gefühls-Synästhetikerin. (die Wahrnehmung von Gefühlen in Farben und Formen) Unsere Aufgabe war es, ihre Wahrnehmung nicht als rein visuelles Spiel darzustellen, sondern als intuitiven Wesensteil, der sich auf einer anderen "Frequenz" aufhält und so besonderen Zugang zu ihrer Umwelt und zu den Ermittlungen hat. Der Effekt sollte einfach herstellbar sein, und möglichst nicht artifiziell sein, was den Zuschauer eher auf Distanz bringt, statt eine besondere Nähe zwischen ihm und Tonja herzustellen. So versuchten wir, ihre Sinne auch für uns atmosphärisch spürbar zu machen: Farben, die plötzlich intensiver leuchten, ungewöhnliche Klangteppiche oder subtile Unschärfen, die das Gefühlte "sichtbar" machen. Der Zuschauer wird so eingeladen, die Welt mit ihren Augen wahrzunehmen.
Valentin: Selmke: Wir haben auf verschiedenen Ebenen über diese besondere Sinneswahrnehmung recherchiert. Nina hat viele Interviews mit Synästheten geführt, einige davon auch zusammen mit mir, und wir haben uns Filme über Synästheten angeschaut. Uns war es wichtig eine Form der visuellen Umsetzung zu finden, die nah an der Wahrnehmung der Synästhesie ist. Wir haben aber schnell festgestellt, dass es unzählige Arten und Formen der Synästhesie gibt. Auch die Art und Weise, wie es sich anfühlt und ausgelöst wird, ist sehr individuell. Viele beschreiben jedoch eine fließende Bewegung, pulsierende Farben und Elemente die schwingen oder fliegen. Nach zahlreichen Tests von Infrarot-, Wärmebildkamera, Verzerrungsfiltern und digitalen Effekten kamen wir zu dem Entschluss, dass sich alle diese Effekte zu künstlich anfühlen. Wir wollten, dass das Gefühl auch für die Zuschauer:innen organischen ist. Somit testete ich viele aufwendig gebaute farblich animierte Verläufe mit meinem tollen Coloristen Tobias Wiedmer. Vor allem im Wald erlebt unsere Hauptfigur Tonja starke intuitive Schwingungen und Impulse. Hier bauten wir dann mit Hilfe der Farbe Grün und einer subtraktiven Farbmischung "unsere" visuelle Form der Synästhesie.