Der Krimi aus Brandenburg: Die Raaben und das tote Mädchen - Im Interview: Hauptdarstellerin Alina Stiegler und Hauptdarsteller Anton Rubtsov
In der neuen ARD-Donnerstags-Krimireihe spielen Sie die Streifenpolizistin Tonja Raabe, die eine besondere Fähigkeit hat, mit der sie ihrer Tätigkeit nachgeht. Sie haben bereits Krimi-Erfahrung – was macht ihre neue Rolle aus? Wer ist Tonja Raabe und was hat Sie an der Rolle gereizt?
Alina Stiegler: Tonja Raabe ist eine kluge, emphatische und durchaus eigenwillige Person mit einem stark ausgeprägten Bewusstsein für Ungerechtigkeit und ihre eigene Unabhängigkeit. Durch ihre erweiterte Sinneswahrnehmung, die Synästhesie, geht sie mit einem anderen Blick durch die Welt, der sehr viel direkter, "kreativer" und vieldimensionaler ist als der der meisten Ermittler*innen, die ich sonst so im Fernsehen sehe. Ich fand es unheimlich interessant mich in diese Wahrnehmung hineinzuarbeiten, mir zu überlegen wie z.B. der Wind für sie schmecken könnte. Der Film interessiert sich wirklich für seine Protagonistin, eine junge Frau in der Lausitz, und nimmt sie und ihre Art die Welt, und letztlich auch den Fall zu sehen, ernst. Das hat mir unheimlich gut gefallen und war eine neue Erfahrung.
Und Wie würden Sie Ihre Rolle des Kriminalkommissars und Bruders Anton Raabe beschreiben – was macht ihn aus?
Anton Rubtsov: Anton ist ein vielschichtiger Mensch, dessen äußerliche Ruhe eine große innere Intensität verbirgt. Als junger Kriminalkommissar wird er bei seinem ersten großen Fall mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert: dem ungeklärten Verschwinden seines kleinen Bruders Micha, das ihn und seine Familie tief geprägt hat. Dieses Trauma treibt ihn an. Er versucht, den Fall mit größtmöglicher Präzision und Konzentration zu lösen – fast so, als wolle er dadurch eine alte Wunde heilen. Doch dieser Weg ist voller Hindernisse, besonders da seine Schwester Tonja zunehmend selbst zu einem persönlichen Rätsel wird, das er ebenfalls lösen muss.
Neben dem zu lösenden Kriminalfall wird in "Der Krimi aus Brandenburg: Die Raaben und das tote Mädchen" die persönliche Geschichte der Familie Raabe thematisiert. Tonja und ihr Bruder, Kriminalkommissar Anton Raabe, sind Sorben, aufgewachsen im brandenburgischen Senftenberg in der Lausitz. Was verbanden Sie vor den Dreharbeiten mit der Region und wie haben Sie diese dann vor Ort erlebt? Wie war es die Szenen mit sorbischen Dialogen zu spielen?
Anton Rubtsov: Die Lausitz ist eine faszinierende Region, geprägt von ihrer beeindruckenden Landschaft und ihrer industriellen Geschichte, insbesondere dem Braunkohleabbau. Gleichzeitig ist sie kulturell stark verwurzelt, vor allem durch die sorbische Minderheit, die dort lebt. Ich hatte schon einmal von den Sorben gehört, dank einer außergewöhnlichen Sprachdozentin an der Schauspielschule Ernst Busch, die selbst sorbischer Herkunft ist. Diese Erinnerung hat mich durch das Projekt begleitet. Die sorbischen Dialoge zu sprechen war eine spannende Herausforderung, die mir allerdings aufgrund meiner intuitiven Vertrautheit mit slawischen Sprachklängen erstaunlich leichtfiel. Natürlich hat uns ein Sprachcoach unterstützt, was die Arbeit noch bereichernder gemacht hat. Es war eine wunderbare Gelegenheit, in diese einzigartige Kultur einzutauchen.
Alina Stiegler: Ich kannte die Lausitz bereits von den Dreharbeiten einer anderen Krimireihe, vor allem aber aus Büchern. Ich habe Krabat als Kind geliebt und bin seit jeher fasziniert von den lokalen Sagen, den Märchenwäldern, dem Schlangenkönig, aber auch dem sozialistischen Erbe, das nicht nur in Form von Plattenbauten, die zwischen den Wipfeln hervorragen, einen ganz eigenen Zauber auf mich hat. Ich habe auch in jüngster Zeit viel Literatur "aus der Region" gelesen, zum Beispiel "Die schönste Version" von Ruth Maria Thomas, wodurch ich nochmal viel verstanden habe. Ich habe mich sehr gefreut, Zeit dort zu verbringen, habe sehr nette Menschen kennengelernt und im See gebadet. Gleichzeitig nimmt es mich aber auch mit, zu erleben, wie sehr die Region durch Umbrüche strapaziert ist und wie schwer es manchmal war, einander einfach zuzuhören. Die sorbische Sprache fasziniert mich ungemein, ich finde es aber auch wirklich unheimlich schwer und werde weiter üben, versprochen!
2016 spielten Sie bei den Bad Hersfelder Festspielen die Hauptrolle des Zauberlehrlings Krabat im gleichnamigen Theaterstück, das auf einer alten sorbischen Sage basiert und in der Lausitz spielt – eine schöne Parallele zur Geschichte von "Der Krimi aus Brandenburg: Die Raaben und das tote Mädchen". Welche Rolle spielt für Sie der mythische Aspekt im Film?
Anton Rubtsov: Absolut, die Parallelen zu Krabat sind unverkennbar. In Otfried Preußlers Roman ist Krabat ein Waisenkind, ein verlorener Junge, der in der geheimnisvollen Mühle in Schwarzkollm Zuflucht findet. Dort verwandeln sich die Lehrlinge in Raben – eine starke, bildgewaltige Metapher für Dunkelheit und Transformation. Auch in unserem Film gibt es eine ähnliche poetische Tiefe: Das vermisste Kind in unserem Fall spiegelt das Trauma des verschwundenen Bruders von Anton und Tonja wider. Diese Parallelen haben mich während der Vorbereitung sehr inspiriert. Die starken, kraftvollen Bilder aus Preußlers Erzählung waren eine wertvolle Inspiration, um meine Figur zu entwickeln.
Seit ihrer Kindheit besitzt Tonja Raabe eine erweiterte Sinneswahrnehmung, Synästhesie genannt, die den emotionalen Zustand ihrer Mitmenschen in verschiedenen Farben erspüren lässt – wie haben Sie sich diesem Aspekt Ihrer Rolle genähert?
Alina Stiegler: Synästhesie beschreibt ganz grundsätzlich, dass bei Reizung eines Sinnes, ein weiterer parallel ausgelöst wird. Es gibt also Verknüpfungen, die für Menschen, die keine synästhetische Wahrnehmung haben, teilweise nur schwer greifbar sind. Es ist ein sehr großes Spektrum und nach wie vor wenig erforscht. Der Klassiker ist "der gelbe Dienstag", also eine Wahrnehmung von Zahlen, die fest und unverrückbar an eine Farbe und teilweise Form gebunden sind. Mediziner:innen gehen davon aus, dass Synästhesie mindestens vier bis fünf Prozent der Bevölkerung betrifft. Die Zahlen sind aber wahrscheinlich deutlich höher, da vor allem Menschen mit leichten Formen der Synästhesie sich nicht darüber im Klaren sind, dass ihre Wahrnehmung von der "Norm" abweicht. Als ich angefangen habe rumzufragen war ich ehrlicherweise überrascht, wie viele Menschen in meinem Umfeld etwas damit anfangen konnten. Ganz viele wissen aber gar nicht, dass das einen Namen hat. Warum auch, wieso sollte man jemandem davon erzählen, wie die "eigene 7" aussieht oder so.
Letztlich habe ich mich mit vielen Menschen getroffen und mir ihre Wahrnehmung der Welt erklären und beschreiben lassen. Aus der Summe aller Gespräche habe ich mir dann letztlich eine Art Schema erarbeitet, mit dem ich dann das komplette Drehbuch durchgearbeitet habe. Anton, Tonjas Bruder, riecht für sie zum Beispiel wie Asphalt nach einem Sommerregen. Und der Monat Mai hat ein dunkles Tannengrün.
"Der Krimi aus Brandenburg: Die Raaben und das tote Mädchen" erzählt regional verortet von zeitaktuellen Themen, die bewegen – Familienbande, eine Region im Umbruch, gesellschaftliche Spannungen. Welche Szenen und Drehmomente sind Ihnen besonders in Erinnerung? Wie haben Sie die Zusammenarbeit am Set, mit ihren Co-Darstellerinnen und Darstellern und mit dem Team erlebt?
Alina Stiegler: Anton Rubtsov, die Regisseurin Nina Vukovic und ich haben uns gemeinsam sehr akribisch vorbereitet. Nina und ich kommen aus dem Westen, Anton wiederum ist in Russland geboren und in Dresden und Berlin aufgewachsen. Wir haben gemeinsam versucht uns den genannten Themen zu nähern, Gemeinsamkeiten zu finden, Unterschiede auszumachen. Es war uns wichtig vor dem Hintergrund der Region aktuelle Themen zu verorten, letztlich aber vor allem, eine gute Geschichte zu erzählen. Die von Tonja und Anton, ihrer Familie und den Schicksalen, die daran hängen. Und die Schicksale derer, die ihnen im Laufe des Films begegnen. Ich hatte mit den beiden, den anderen tollen Kolleg:innen, unserem Kameramann Valentin Selmke und allen anderen Team-Menschen eine wirklich schöne Zeit. Für mich eine Zeit voll unverhoffter Hingabe und Kompliz:innenschaft, wie ich sie so noch nicht oft hatte. Am besten hat mir gefallen, wie Anton sich immer das Lachen verkneifen musste, wenn ich versucht habe mit meinem Gesicht zu spielen, dass ich "Farben" sehe.
Anton Rubtsov: Wir hatten teilweise wirklich tolle Drehorte, das F60 Besucherbergwerk z.B. Die Zusammenarbeit war auch wirklich besonders. Sehr auf Augenhöhe, durch alle Arbeitsgewerke durch. Das ist nicht immer selbstverständlich. Und die Connection zwischen der tollen Regisseurin Nina Vukovic, Alina und mir! Das hat extrem gematched.