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Carol Heumann Snider hält in ihrem Haus in der Nähe von Seattle in den USA vorsichtig eine Zeichnung hoch. "Teufelsbrücke" vom Romantikmaler Jakob Schilling. Vor zwei Jahren haben sie und ihre Geschwister es aus dem Berliner Kupferstichkabinett restituiert bekommen.
Sogar einen eigenen Sitzplatz im Flugzeug hat die Familie für dieses Bild gebucht – extra für unsere Dreharbeiten.
Carol Heumann Snider, Enkelin von Carl Heumann
"Das hier ist von den Berliner Museen an uns restituiert worden.
Empfindliche Kunst… Das ist die "Teufelsbrücke"."
Die "Teufelsbrücke" von Johann Jakob Schillinger hat eine Reise von Chemnitz über Berlin nach Seattle gemacht – und den Irrsinn des 20. Jahrhunderts überstanden.
Carol Heumann Snider, Enkelin von Carl Heumann
"Kunst aus der Sammlung meines Großvaters zu besitzen ist ein Weg, Carl über die Generationen hinweg am Leben zu erhalten."
Wir sind in Gig Harbor in der Nähe von Seattle – Carol Heumann Snider hat ihren Großvater Carl nicht kennen lernen können – aber ihr Vater hat viel von ihm erzählt.
Carol Heumann Snider, Enkelin von Carl Heumann
"Er trug einen Dreireiher und ein gestärktes weißes Hemd – jeden Tag! Er liebte seine Kunst, sie war ihm wie ein Freund, glaube ich. Mit Kunst konnte er sich besser verbinden als mit Menschen."
Die Familie Heumann lebte bis 1945 in Chemnitz – anfangs in besten Verhältnissen. Diese Geschichte ist auch seine Geschichte – Thomas Heumann war Carols Vater, geboren 1928 in Chemnitz, Sohn von Carl. Carol hat vor seinem Tod lange Gespräche über die Familiengeschichte mit ihm geführt. Großvater Carl Heumann war ein Mann der Haltung und das gab er an seine Kinder weiter.
Thomas Heumann (1928 – 2017), Sohn von Carl Heumann
"Er sagte immer: "Sorgt dafür, dass die Leute euch gute Noten geben!"
Carl Heumann war ein wohlhabender Bankier – in eine jüdische Familie geboren, zum Christentum konvertiert, verheiratet mit Irmgard – auch sie war evangelisch. Als der Naziwahnsinn losbrach, war sie lange der Schutzengel für die Familie.
Carol Heumann Snider, Enkelin von Carl Heumann
"Mit ihrem Tod änderte sich alles für die Familie."
Carl Heumann sammelte Werke der deutschen Romantik. Seine Sammlung war groß und renommiert, Museumsdirektoren schätzten sein Fachwissen. Auch in den Beständen des Berliner Kupferstichkabinetts fanden sich im Zuge der Provenienzforschung zwei Bilder aus seinem Eigentum. Auktionskataloge und Inventarbücher sind wichtige Hilfsmittel – doch eindeutige Sammlerstempel sind eine Seltenheit.
Hanna Strzoda, Provenienzforscherin Staatliche Museen Berlin
"Wir sehen hier unten links die zwei Stempel, die Carl Heumann benutzt hat. Seine Sammlerstempel, das eine ist das CH und später diese blaue Blume, die er die "Blume der Romantik" nannte."
Dieses Portrait des Architekten Friedrich August Stüler ist nach Absprache mit der Familie in Berlin geblieben, es wurde versteigert, als Irmgard noch lebte und Carl noch etwas geschützt war. Bei der "Teufelsbrücke" war es anders.
Hanna Strzoda, Provenienzforscherin Staatliche Museen Berlin
"1944 war seine Frau seit einigen Monaten gestorben. Es ist in dem Fall eher von einer Verfolgungssituation auszugehen, deshalb haben wir im Sinne einer gerechten und fairen Lösung dieses eine Blatt behalten dürfen und das andere an die Familie restituiert."
Als die Nazis Carl Heumann zum Juden erklärten, ihm seinen Beruf nahmen, ihn entrechteten, konnte er nicht glauben, was und warum es ihm geschah.
Carol Heumann Snider, Enkelin von Carl Heumann
"Er fühlte sich durch und durch deutsch. Und er war fassungslos, dass dies einem so deutsch fühlenden Menschen passieren konnte."
Irmgard starb an Gehirnkrebs – dass Carl Heumann daraufhin, eigentlich schutzlos, nicht deportiert wurde, wirft immer noch Fragen auf. Vermutlich hat ihn ein kunstliebender, hochrangiger Chemnitzer Nazi geschützt. Doch beim großen Bombenangriff auf Chemnitz im März 1945 kam Carl Heumann ums Leben.
Carol Heumann Snider, Enkelin von Carl Heumann
"Das ist das Haus nach der Zerstörung."
Thomas Heumann (1928 – 2017), Sohn von Carl Heumann
"Der Luftangriff war während der Nacht. Das Haus brannte. Er lief zurück, um einen Koffer mit Kunstwerken zu retten, mit denen er sich gerade beschäftigte. Und als er rauskam oder hineinlief, genau weiß ich es nicht, traf eine Bombe das Haus – und so starb er."
Carol Heumann Snider, Enkelin von Carl Heumann
"Ich dachte, dass Du die Leiche Deines Vaters gefunden hast."
Thomas Heumann (1928 – 2017), Sohn von Carl Heumann
"Ja, am nächsten Tag. Er trug seinen Anzug, Weste, komplett angezogen."
Carol Heumann Snider, Enkelin von Carl Heumann
"Er zog sich mitten in der Nacht den Anzug an? Beim Luftangriff? Warum?"
Thomas Heumann (1928 – 2017), Sohn von Carl Heumann
"So war er halt!"
Carol Heumann Snider, Enkelin von Carl Heumann
"Mein Vater nahm den Koffer mit, als er Chemnitz verließ. Der Koffer war sein ein und alles, es war seine Verbindung zu seinem Vater. Einige Jahre später emigrierte er in die USA und er brachte den Koffer mit."
Jahrzehntelang bewahrte Thomas Heumann den Koffer unter seinem Bett auf. Bis seine Enkelin ihn löcherte und er ihr den Koffer zeigte – und die Geschichte der Heumanns erzählte – eine Geschichte, die auch in jedem zurückgegebenen Kunstwerk steckt.
Carol Heumann Snider, Enkelin von Carl Heumann
"Wenn Kunst zurückgegeben wird, fühle ich mich mit ihm verbunden. Als hätte unsere Generation eine Verbindung zu diesem Großvater, der uns genommen worden ist."
Autor: Steffen Prell