Mann im Anzug reibt sich unter Brille die Augen (Bild: imago images/photothek)
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Interview l Studie zu Folgen von Burn-Outs - Arbeitsstress: Burn-Out nicht Folge sondern Auslöser?

Hohe Arbeitsbelastung kann einen Burn-Out auslösen, bei manchen so stark, dass sie nicht mehr arbeiten können. Dass es auch anders herum geht - also ein bestehender Burn-Out den Arbeitsstress erst erzeugt oder verstärkt - ist eine ungewöhnliche These. Das Team um Prof. Christian Dormann von der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz hat sie untersucht.

Burn-Out ist Folge von Stress und hoher Belastung im Job - richtig? Oder könnte es nicht auch anders herum sein? Was, wenn das Burn-Out erst für psychische und dann physische Belastung durch Arbeitsstress sorgt? Eine ungewöhnliche These - Forscher der Uni Mainz sind ihr nachgegangen.

Herr. Prof. Dormann, wie sind Sie auf die Idee gekommen, diese ungewöhnliche These zu untersuchen?
 
Die überwiegende Anzahl von Studien, die bislang zu dem Thema durchgeführt wurden, sind so genannte Querschnittstudien. Dabei findet man heraus, dass zwei Dinge zusammenhängen, also Stress bei der Arbeit korreliert mit Burn-Out und dann wird das immer gern im Sinne der eigenen Theorie interpretiert, nämlich in die Richtung, dass Stress zu Burn-Out führt.

Aber der zentrale Kritikpunkt, den die wissenschaftlichen Kolleg*innen auch kennen, ist der, dass man im Grunde nicht weiß, ob Stress zu Burn-Out führt oder ob es nicht gerade umgekehrt ist. Das ist ein typisches "Henne-Ei-Problem", für dessen Lösung man andere Studiendesigns braucht, nämlich so genannte Längsschnittstudien.

Wie genau haben Sie das untersucht?
 
Eine Doktorandin meiner Arbeitsgruppe, Dr. Christina Guthier, hat im Rahmen ihrer Doktorarbeit 48 Längsschnittstudien mit insgesamt fast 27.000 Teilnehmer*innen ausgewertet - alles internationale Studien, die sich in der Zeit von 1986 bis 2019 mit dem Thema Arbeitsstress und Burn-Out beschäftigt haben.
Dabei wurden Arbeitnehmer*innen nicht nur zu einem Zeitpunkt nach den beiden Faktoren "Stress" und "Burn-Out" gefragt, sondern im Laufe der Zeit erneut - das nennt man eine Längsschnittstudie. Bei einer solchen Längsschnittstudie kann man schauen, ob Stressoren, also zum Beispiel Zeitdruck oder Arbeitsbelastung - ob diese den zukünftigen Burn-Out vorhersagen können.

Man kann aber auch in die andere Richtung schauen: Sprich, ob das, was die Arbeitnehmer*innen in der ersten Befragung als "Burn-Out-Werte" angegeben haben, ob man daraus eine Vorhersage über ihre zukünftigen Stressoren ableiten kann. Man kann sich also beide Faktoren anschauen und sehen, ob der eine die zukünftige Entwicklung besser vorhersagt als der andere.

Diesen Zusammenhang kann man nur in einer Längsschnittstudie erkennen. Was wir sehen, ist ganz klar: Wenn die Leute uns sagen, wieviel Burn-Out sie haben, dann können wir recht gut vorhersagen, wie viele Stressoren sie in einem Jahr berichten werden. Und wenn sie uns heute sagen, unter wie vielen Stressoren sie leiden, können wir nicht so gut vorhersagen, wie viel Burn-Out sie in einem Jahr haben werden. Das heißt, die Effekte von Burn-Out auf Arbeitsstressoren sind größer.

Wenn man davon ausgeht, dass Burn-Out Arbeitsstress erzeugt, wie entsteht dann der ursprüngliche Burn-Out überhaupt?
 
"Den" Burn-Out gibt es schonmal gar nicht; das ist ein abgestufter Prozess, der in der Regel mit einer leichten Erschöpfungssymptomatik beginnt. Bei den meisten von uns verschwindet der wieder, wenn wir uns ausruhen. Wenn das aber nicht mehr funktioniert und man sich selbst nach einem Urlaub nicht mehr gut erholt fühlt, dann hat die Entwicklung hin zu einem Burn-Out angefangen.
 
Das kann dann der Beginn eines Teufelskreises sein: Und zwar genau dann, wenn durch den beginnenden Burn-Out die Arbeit als stressiger empfunden wird und sich das gegenseitig aufschaukelt. Woher die anfängliche Erschöpfung kam, war nicht Thema unserer Untersuchung. Aber das kann Stress in der Familie sein oder die Belastung durch eine längere Erkrankung z.B..

Wie kann man einen Burn-Out von einer Depression unterscheiden?
 
Auch hier ist es schwierig "den" Burn-Out von "der" Depression zu unterscheiden. Auch Depressionen gibt es in ganz unterschiedlichen Formen. Ich würde sagen, ein Burn-Out ist in seiner Intensität deutlich schwächer als eine Depression.
 
Viele Menschen mit Depressionen sind gar nicht mehr in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Beim Burn-Out ist das Leitsymptom der Erkrankung die Erschöpfung, mit der aber viele Betroffene immer noch versuchen, den an sie gestellten Anforderungen gerecht zu werden.
 
Was dann entstehen kann, ist eine Art Zynismus der eigenen Arbeit gegenüber. Das kann man als Schutzreaktion interpretieren. Die Betroffenen fühlen sich von ihrer Arbeit überfordert und in dem Moment, wo sie sich von ihrer Arbeit distanzieren, sie zynisch betrachten, schützen sie sich vor ihren eigenen Emotionen und entlasten sich dadurch ein Stück.

Wenn ein Burn-Out Arbeitsstress erzeugt oder verstärkt, wie können Arbeitgeber*innen damit umgehen?
 
Für die Arbeitgeber*innen ist das ein ganz wichtiger Punkt, weil man weiß, dass Menschen, die sich erschöpft und "ausgebrannt" fühlen, schlechtere Leistungen erbringen und häufiger krankgeschrieben sind - mal abgesehen von dem persönlichen Leidensdruck der Arbeitnehmer*innen, der den Arbeitgeber*innen auch nicht egal sein sollte.
 
Es gibt zwei wichtige Stellschrauben, an denen Arbeitsgeber*innen drehen können. Die eine ist: mehr soziale Unterstützung durch die Vorgesetzten. Und die andere ist: den Menschen mehr Einflussmöglichkeiten auf ihre Arbeit zu geben.
Zum Beispiel, ihnen mehr Spielraum zu lassen, wie sie ihre Arbeit tun. Dieses "Rezept" aus mehr sozialer Unterstützung und mehr Mitbestimmung zur Verringerung von Burn-Out und Stress gilt nach wie vor.
 
Was wir jetzt durch die Analyse der Längsschnittstudien zeigen konnten ist, dass dieses "Rezept" einen stärkeren Einfluss von Burn-Out auf die Stressoren hat und nicht - wie immer gedacht - von den Arbeitsstressoren auf Burn-Out. Wir stellen die Welt also schon ein bisschen auf den Kopf.

Was kann ich selbst tun, wenn ich merke, dass ich möglicherweise einen Burn-Out habe?
 
Die Vorgesetzten und die Kolleg*innen können einem ja auch nicht in den Kopf schauen. Ich glaube, dass viele denken: Das muss meine Chefin oder mein Kollege doch jetzt mal sehen, dass ich nicht mehr kann. Aber das ist eben nicht so einfach. Man sollte es also äußern und sich und der Führungskraft eingestehen, dass man, zumindest phasenweise, nicht so leistungsfähig ist.
 
Ein guter Indikator für einen Burn-Out ist, wenn man montagmorgens schon erschöpft ist, bevor die neue Arbeitswoche überhaupt angefangen hat. Dann sollte man handeln. Allerdings gehen viele Menschen über diesen Punkt hinweg, bis sie nicht mehr können und sich keinen anderen Rat wissen, als zum Arzt zu gehen und sich erstmal vier Wochen krankschreiben zu lassen.

Mehr Menschen als sonst arbeiten derzeit im Home-Office. Steigt dadurch das Risiko, einen Burn-Out zu erleiden?
 
Das Home-Office hat seine eigenen Tücken, das haben jetzt viele mitbekommen. Was es im Home-Office noch viel weniger gibt, ist die Wahrnehmung - dass man einen sozial unterstützenden Vorgesetzten oder eine Vorgesetzte hat. Viele Arbeitnehmer*innen bekommen eher weniger Feedback als sonst und damit fehlt auch die Wertschätzung als Person. Das kann die Entwicklung eines Burn-Out befördern.
 
Auf der anderen Seite hat man mehr Kontrolle über seine Arbeit, man schiebt die Pause vielleicht wirklich dorthin, wo man sie braucht. Man verlagert Arbeit in Zeiten, wo man besonders leistungsfähig ist, das wirkt einem Burn-Out eher entgegen. Insgesamt ist es nicht so leicht zu sagen, ob durch die aktuelle Situation mehr Menschen einen Burn-Out erleiden. Ich würde mal vermuten, dass all diejenigen mit anspruchsvollen Tätigkeiten, die selbstorganisiert und intrinsisch motiviert arbeiten, von der Situation eher profitieren.
Aber all diejenigen, die gewohnt sind, dass man ihnen sagt, wie sie arbeiten sollen und die wenig Selbstmanagement einüben konnten - für die könnte die Home-Office Situation durchaus mit einem Burn-Out enden.

Prof. Dormann, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Ursula Stamm

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