Schutz vor Stressfrakturen - Ermüdungsbruch: Knochen unter Leistungsdruck
Unsere Knochen sind Wunderwerke der Statik und können sogar recht flexibel mit Belastung umgehen. Doch werden sie zu sehr, zu oft oder "falsch" unter Druck gesetzt, kann es zu Stressfrakturen und Ermüdungsbrüchen kommen. Wie das passiert, wie sie heilen und was vorher schützen kann - ein Überblick.
Eigentlich steckt eine Beschreibung schon in den Begriffen: Bei der "Stressfraktur" oder dem "Ermüdungsbruch" entsteht ein Bruch im Knochen, der durch intensive und meist wiederholte Überlastung ausgelöst wird - und zwar solche, die der eigene Körper dem Knochen zugemutet hat. Es geht also explizit nicht um Brüche, wie sie bei Unfällen beispielsweise entstehen und bei denen eine äußere Kraft auf den Knochen wirkt.
Das hat gute und schlechte Folgen: Einerseits verschieben sich bei dieser Art von Bruch die beiden gebrochenen Knochenteile oft wenig oder gar nicht - das macht OPs medizinisch meist unnötig und ebenso jedenfalls oft den klassischen Gips.
Andererseits erschwert so ein "sehr feiner Bruch" aber auch die Diagnostik im Röntgenbild massiv. Manchmal kann man hier erst was sehen, wenn sich der Entkalkungsprozess rund um die Bruchstelle im Bild zeigt - eine Magnetresonanztomographie (MRT) beispielsweise kann da genauere Informationen liefern.
Wie entstehen Stressfrakturen - und bei wem?
"Es ist tatsächlich so, dass jede Person einen Ermüdungsbruch kriegen oder eine Überlastungssituation erfahren kann. Das ist eigentlich unabhängig davon, ob es sich um einen Spitzenathleten handelt - also einen absoluten Hochleistungssportler, der Triathlon läuft - oder ob es sich um jemanden handelt, der seit 20 Jahren nicht mehr Joggen war und dann mal wieder angefangen hat. Oder ob es sich um jemanden im Wachstum handelt und da eben besondere biologische Voraussetzungen bestehen", sagt PD Dr. Dr. Thorsten Schiffer, Leiter der Ambulanz für Sporttraumatologie an der Deutschen Sporthochschule Köln.
Statistisch gesehen sind Frauen deutlich häufiger betroffen als Männer - was mit dem Einfluss des weiblichen Hormonhaushaltes auf den Knochenstoffwechsel zu tun hat. Außerdem gehören Jugendliche in der Pubertät zu den Risikogruppen, denn bei ihnen entwickelt sich die Körperkraft manchmal schubweise und schneller, als der Rest des Körpers mitkommt, so Dr. Dr. Schiffer: "Es kann auch sein, dass es ein Jugendlicher ist, der gerade in der Wachstumsphase ist, wo sich die ganze Biomechanik verändert. Jemand, der eigentlich nur ganz normal seinen Sport macht, aber plötzlich Muskeln entwickelt, weil er in die Pubertät gekommen ist und über Testosteron dann die Muskulatur stärker wird.
Das geschieht innerhalb von einigen Wochen oder Monaten sogar. Dann wird diese Kraft entwickelt und es gibt plötzlich natürlich eine ganz andere Belastung, auch für den Knochen. Und wenn der Jugendliche dann schneller läuft, höher springt oder schneller sprintet, dann muss der Knochen mehr aushalten, ist aber da noch nicht so weit. Dann kommt es eben dort, im Knochen, zur Stressreaktion."
Was passiert beim Ermüdungsbruch genau?
"Wir sprechen bei Knochen oft vom passiven Bewegungsapparat, als passiere da nicht viel, aber das stimmt ja nicht. Es finden permanent in jedem Gewebe - und so auch im Knochen - Abbau- und Aufbauprozesse statt. Das machen dann verschiedene Zellen, Osteoblasten und Osteoklasten, und die bauen dann verschiedene Mineralien ein. Das wird von Hormonen mitgesteuert und so ein Knochen kann sich so eben anpassen", sagt Sporttraaumatologe Schiffer. Osteoblasten und Osteoklasten sind knochenaufbauende und -abbauende Zellen. Erstere spüren auch kleine Defekte im Knochengewebe auf und reparieren sie, dafür sind Kalzium und Vitamin D sehr wichtig.
Ebenso ist aber Zeit ein wichtiger Faktor, so Thorsten Schiffer: "So ein Muskel, der ist in Wochen von klein auf groß oder umgekehrt gewachsen. Aber der Knochen braucht eben Jahre, um sich an die Belastung, die er erfährt, anzupassen. Das macht er, indem sich im Knochen die Trabekel [bälkchenartige Strukturen] in einer bestimmten Richtung ausrichten, nämlich so, dass das Knochenkonstrukt dieser Belastung auch widerstehen kann. Knochenbälkchen, das ist dieses schwammartige Gebilde und außen rum hat man die Kortikalis, die Knochenrinde - wenn die kaputt ist, dann ist der Knochen kaputt. Dann ist es ein Bruch. Und wenn die Trabekel kaputt gehen, dann ist man schon in einer Stressreaktion, kann aber noch laufen, mit Beschwerden. "
Schmerz als Warnzeichen
Häufigstes Anzeichen für eine Stressreaktion am Knochen - und damit die Gefahr der Stressfraktur - ist Belastungsschmerz. Im Alltag, wenn die konkrete Belastung durch eine Sportart wegfällt, kann der Schmerz unter Umständen auch zeitweise komplett verschwinden. Wichtig ist aber genau die Entlastung, damit die Zellen Reparaturen am Knochen vornehmen können. Einen Sportverzicht bedeutet das nicht - eine Verlagerung auf ein anderes Training hilft schon.
Vor allem Entlastung als Therapie
Hat man den Knochen durch zu viel Training gestresst, können ein paar Tage Entlastung helfen. Thorsten Schiffer sagt: "Wenn es aber wirklich eine Ermüdungsfraktur ist, dann kommt man nicht mit diesen kurzen Erholungszeiten hin - dann müssen die Zeiten für die Reparationsprozesse angepasst werden. Es gibt ja verschiedene Risiken bei Frakturen - solche mit geringem Risiko sind zum Beispiel am Mittelfußknochen. Da kann es sein, dass man mit mehreren Wochen Sportkarenz, also sechs bis zehn Wochen, da durch kommt.
Wenn man den Bruch an einer Hochrisiko-Stelle hat, dann muss man eben mit zwei, drei Monaten rechnen. So eine Stelle wäre zum Beispiel die Außenseite vom fünften Mittelfußknochen. Manche Knochen haben einfach ein höheres Risiko, weil im Alltag darauf größere Kräfte wirken."
Ist der Mittelfußknochen durch Ermüdung gebrochen, kann Entlastung durch einen Vorfußentlastungsschuh indiziert sein. Je nach Bruchstelle werden - neben der Ruhigstellung - auch Schienen eingesetzt. Tape-Verbände, auch Kinesio-Tapes, können den Prozess, je nach Stelle, unterstützen, Details sollten mit dem Arzt oder der Ärztin abgeklärt werden.
Einem weiteren Ermüdungbruch vorbeugen
Regelmäßige Nachkontrollen sind in der Regel nicht vorgesehen, es sei denn es treten Schmerzen oder Einschränkungen bei Wiederaufnahme des Trainings auf. Wer sich aber Sorgen um einen erneuten Bruch macht, sollte die Trainingsumstände, also besonders "äußere Faktoren" überprüfen, so Schiffer: "Extrinsische Faktoren wären zum Beispiel im Prinzip auch Trainingsfehler oder Fehler bei der Steuerung der Trainingsintensität oder des Trainingsumfangs. Verstärkend können da auch Faktoren wie ein ungünstiger Boden wirken - Tartanböden sind riskanter als Waldboden zum Beispiel. Auch ein Schuhwechsel oder schlechte Schuhe gehören dazu. "
Treten beispielsweise immer wieder Belastungen oder Schmerzen beim Training auf, kann auch eine Ganganalyse angebracht sein, um zum Beispiel Fehlstellungen des Fußes als Ursache zu erkennen.
Autorin: Lucia Hennerici
Experte: PD Dr. Dr. Thorsten Schiffer, Leiter der Ambulanz für Sporttraumatologie und Gesundheitsberatung, Deutsche Sporthochschule Köln