Interview l Zerren an der Netzhaut: Vitreomakuläre Traktion - Sehprobleme: Glaskörper in Ablösung
Wellenlinien, verzerrtes oder unscharfes Sehen können Hinweise dafür sein, dass der Glaskörper des Auges sich von der Netzhaut löst - und dabei "festhängt". Folge: An der Netzhaut wird gezerrt - und somit auch am Bild darauf. Vitreomakuläre Traktion heißt das Phänomen. Wie man sie erkennt und was hilft, haben wir PD Dr. Ira Seibel gefragt, Chefärztin für Augenheilkunde am Helios Klinikum Berlin-Buch.
Frau Dr. Seibel, ganz grundsätzlich: Was ist eine vitreomakuläre Traktion?
Der Glaskörper ist ein gallertartiger Köper, das heißt ein Gel, was den hinteren Augenabschnitt ausfüllt. Im Laufe des Lebens verflüssigt er sich, was zu einer physiologischen Ablösung des Glaskörpers von der Netzhaut führt. Das passiert im Alterungsprozess bei jedem Menschen.
Bei einigen bleibt der Glaskörper jedoch an einigen Stellen haften. Im Fall der vitreomakulären Traktion haftet er eben genau an der Makula - das ist die Stelle des schärfsten Sehens. Dadurch kann der Glaskörper die Netzhaut anheben, was zu Problemen [beim Sehen] führt.
Was sind erste Anzeichen dafür, dass ich eine vitreomakuläre Traktion habe?
Viele Patienten haben lange vitreomakuläre Adhäsionen. Das bedeutet, der Glaskörper ist adhärent, also haftet an Stellen an der Netzhaut, zieht aber nicht daran.
Wenn er zieht, kann es zu einer Anhebung der zentralen Netzhaut kommen und es werden zystische Netzhautveränderungen sichtbar.
Betroffene merken, dass sie schlechter sehen können, sie Schwierigkeiten beim Lesen bekommen, weil die Linien krumm erscheinen.
Was ist die Ursache dafür, dass der Glaskörper an der Makula klebt?
Warum der Glaskörper bei manchen Menschen genau an der schärfsten Stelle des Sehens haften bleibt und bei einigen nicht - das ist unklar.
Der Glaskörper ist in verschiedenen Schichten aufgebaut und man weiß, dass er am Stärksten am Sehnervenkopf und [sehr viel weiter vorne] haftet und sich dort als letztes ablöst.
Warum bei manchen Menschen die Haftung allerdings so stark im Makulabereich ist, bleibt ein Geheimnis.
In welcher Alterspanne tritt dieses Phänomen am häufigsten auf?
Der Glaskörper löst sich je nach Augenlänge meist zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr ab. Wenn er sich in dieser Zeit teilweise abgelöst hat und teilweise noch haftet, kann eine vitreomakuläre Traktion auftreten.
Bei kurzsichtigen Menschen, die längere Augen haben, ist die Glaskörperablösung insgesamt früher als bei Normalsichtigen. Dadurch lässt sich diese Altersspanne erklären.
Das heißt, wenn der Glaskörper sich komplett ablöst, verursacht das keine Beschwerden?
Genau, das ist ein normaler Prozess und der verläuft meist unbemerkt - komplikationslos. Problematisch sind immer die Stellen, an denen er fest haftet und dann zieht.
Die rissbedingte Netzhautablösung hat die gleiche Ursache, das heißt der Glaskörper soll sich ablösen, bleibt aber peripher an der Netzhaut haften und reißt in die Netzhaut ein Loch. Durch die Verflüssigung des Glaskörpers "spült" er dann die Netzhaut wie eine feuchte Tapete ab.
Reißt [der Glaskörper] zentral an der Makula kann ein Makulaloch entstehen.
Wie sehen die Behandlungsoptionen aus?
Solange der Patient keinen Leidensdruck hat, wartet man bei vitreomakulärer Traktion erst einmal ab. Man würde nur bei Beschwerden und niemals nur aufgrund eines pathologischen OCT-Befundes operieren.
Wenn der Patient Beschwerden entwickelt und man merkt, dass der Patient eine trübe Linse hat, würde man zuerst die Linse operieren. Eine getrübte Linse ist sehr viel dicker als eine Kunstlinse. Dadurch entsteht mehr Platz für den Glaskörper, sodass er nach vorne shiften kann.
Es gibt noch eine weitere Option: Das ist eine Spritze, die entwickelt wurde. Ocriplasmin ist der Wirkstoff. Die Gefahr bei der Spritze ist, dass die Ablösung sehr unkontrolliert passiert. Die Glaskörperabhebung kann überall passieren und die Gefahr für periphere Löcher ist dann gegeben. Dieses Verfahren muss man mit dem Patienten diskutieren.
Eine kontrollierte Option wäre dann die minimal-invasive Pars Plana Vitrektomie [Anm. d. Red.: Dabei werden gezielt Teile des Glaskörpers chrirugisch entfernt].
Frau Dr. Seibel, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Laura Will