Interview l Tierorgan in einem Menschen - Xenotransplantation: Rettung durch ein Schweineherz
Ein genetisch verändertes Schweineherz wurde im Januar 2022 einem 57-jährigen, schwer herzkranken Mann transplantiert. Dieser Vorgang im US-amerikanischen Maryland war eine Premiere - nie zuvor war das möglich. Und nun? Könnten Tierorgane in naher Zukunft die Lösung des weltweiten Organmangels sein? Fragen an den Herzchirurg Prof. Dr. Christoph Knosalla vom Deutschen Herzzentrum Berlin.
Herr Prof. Dr. Knosalla, war das wirklich die erste Transplantation eines Schweineherzens in einen Menschen?
Es wird schon länger dazu geforscht Organe von Tieren in Menschen zu transplantieren; das nennt man Xenotransplantation, im Gegensatz zur Allotransplantation, wo das Organ von einem anderen Menschen stammt.
Dass tatsächlich ein Schweineherz transplantiert wurde, ist hier wirklich zum ersten Mal geschehen.
Warum gerade das Herz von einem Schwein und nicht zum Beispiel von einem Menschenaffen?
Es gibt viele Faktoren, in denen das Schweineherz physiologisch mit dem des Menschen übereinstimmt. Hinzu kommt, dass das Spendertier vorab gentechnisch behandelt wurde. Das heißt, es wurden insgesamt zehn verschiedene Genveränderungen vorgenommen, damit das Schweineherz nicht wieder abgestoßen wird.
Diese Form von Genmanipulation ist bei Schweinen wesentlich einfacher als bei Primaten. Auch wenn man den Bedarf an Spenderorganen berücksichtigt - es gibt weltweit Tausende Patienten, die auf ein Organ warten - dann sind Schweine von der Verfügbarkeit her einfach leichter zu züchten.
Was musste gentechnisch alles verändert werden, damit das Schweineherz nicht gleich wieder abgestoßen wird?
Uns Menschen fehlt im Gegensatz zum Schwein die Fähigkeit ein Enzym zu bilden, welches bestimmte Zuckerkomplexe herstellt, die den Namen Galactose-alpha-1,3-Galactose (GGTA1) tragen. Diese Zucker lagern sich auf der Oberfläche von Zellen an; ein Prozess, der so ähnlich auch bei der Bildung der verschiedenen Blutgruppen stattfindet.
Genauso wie wir Antikörper gegen eine fremde Blutgruppe bilden, bilden wir auch Antikörper gegen solche Oberflächenmarker des Schweines. Das heißt, das Gen, welches beim Schwein für die Bildung von GGTA1 zuständig ist, musste "ausgeschaltet" werden, damit es nicht zu einer akuten Abstoßungsreaktion kommt.
Eine weitere Hürde, die es zu überwinden gilt, ist die Unvereinbarkeit (Inkompabilität), welche hinsichtlich der Blutgerinnung zwischen Mensch und Schwein besteht. Diese musste ebenfalls gentechnisch - durch das Einbringen menschlicher Gene - erreicht werden. Andernfalls kommt es beim Kontakt mit menschlichem Blut in den Gefäßes des transplantieren Schweineherzens zu Blutgerinnseln, die schließlich ein Organversagen hervorrufen können.
Weitere gentechnische Veränderungen verhindern, dass das Schweineherz im Menschen zu schnell wächst und so kommt man insgesamt auf zehn verschiedene Gen-Modifikationen.
Bei jeder Transplantation muss der Empfänger oder die Empfängerin immununterdrückende Medikamente einnehmen, damit das Organ nicht wieder abgestoßen wird. Wie ist das bei der Transplantation eines Schweineherzens?
Die immunologische Barrieren zwischen Mensch und Schwein sind - trotz der Gen-Modifikationen - höher als zwischen Mensch und Mensch. Von daher ist eine stärkere Immunsuppression [Anm. d. Red.: Unterdrückung des Immunsystems] erforderlich.
In der Regel bekommt ein Patient, der ein menschliches Spenderherz erhalten hat, drei Immunsuppressiva. Im Fall der Xenotransplantation sind es mehr und zudem auch Immunsuppressiva, die auf anderen Wirkmechanismen beruhen.
Bei der Allotransplantation [Transplantation von Mensch zu Mensch] geht es vor allem darum, die zelluläre Abstoßungsreaktion zu unterbinden; bei der Xenotransplantation steht zusätzlich die durch Antikörper vermittelte (humorale) Abstoßungsreaktion im Mittelpunkt der immunsuppressiven Behandlung.
Welche Gefahren bestehen noch bei der Transplantation eines Schweineherzens?
Es gibt so genannte Porcine Endogene Retroviren (PERV), das sind Bausteine von Viren im Erbgut der Schweine, die wir Menschen nicht haben.
Da gab es die Befürchtung, dass es im Rahmen einer Xenotransplantation - die mit einer starken Unterdrückung des Immunsystems einher geht - zu einer Infektion mit diesen Retroviren kommen kann.
Diese Befürchtung hat sich in gut reproduzierbaren experimentellen Studien nicht bestätigt. Dennoch haben Forschende diese Möglichkeit durch eine zusätzliche Technologie ausgeschaltet und das ist die CRISPR Cas-Methode, die auch Gen-Schere genannt wird. Inzwischen können mit dieser Methode alle Bausteine für die Bildung der verschiedenen porcinen Retroviren "rausgeschnitten" werden, ohne dass die Tiere dadurch Schaden nehmen.
Dadurch ist eine besondere Therapie, wie zum Beispiel durch antivirale Medikamente, nach einer Xenotransplantation nicht notwendig.
Wie lange kann ein solches Schweineherz im Menschen "halten"?
Soweit man aus den Medien weiß, geht es dem 57-jährigen Mann, der in Maryland transplantiert wurde, derzeit gut. Wie bei jeder Organtransplantation kann es auch bei ihm zu Abstoßungsreaktionen oder Infektionen kommen.
Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Prof. Dr. Bruno Reichart in München hat im Rahmen ihrer präklinischen Forschung bei Pavianen gezeigt, dass ein Schweineherz über ein halbes Jahr die Funktion des Empfängerherzens übernehmen kann.
In Maryland, wo jetzt aktuell das Schweineherz transplantiert worden ist, ist es gelungen über 250 Tage ein zehnfach modifiziertes Schweineherz in Pavianen mit guter Funktion zu halten.
Für welche Patienten und Patientinnen kommt eine solche Xenotransplantation infrage?
Wenn die Xenotransplantation sich erstmal etabliert und bewährt hat, dann kommt sie letztlich für alle Menschen infrage, die ein Spenderherz brauchen.
Bei dem Patienten in Maryland war die Transplantation offensichtlich seine letzte Chance, am Leben zu bleiben. Ich denke, solchen aussichtlosen Fällen werden weitere Xenotransplantationen zunächst vorbehalten sein.
Grundsätzlich hat diese Technik das Potenzial die dominierende Form der Herztransplantation zu werden und das Problem des Spendermangels zu lösen. Das wird aber noch ein weiter Weg sein, denn die humane Herztransplantation hat einen hohen Standard erzielt, der für die Xenotransplantation erst noch erreicht werden muss.
Bei der humanen Transplantation ist es heutzutage so, dass 50 Prozent der Transplantieren zwölf Jahre und länger leben. Denkbar wäre die Xenotransplantation zunächst auch zur Überbrückung bis zur humanen Transplantation, wenn zum Beispiel der Einsatz einer künstlichen Herzpumpe (Ventricular Assist Device) nicht möglich ist.
Weitere denkbare Situationen sind solche, wo Empfänger durch Sensibilisierung Antikörper gegen ein menschliches Organ entwickelt haben, aber auch sehr komplexe angeborene Herzfehler.
Welche Rolle spielt die 3D-Drucktechnik beim Ersatz von Organen im Vergleich zur Xenotransplantation?
Eine solche Technik besagt ja, dass ich eine dreidimensionale Struktur mit bestimmten Zellen besiedeln kann, die dann auch eine bestimmte Funktion erfüllen. Im Fall des Herzens zum Beispiel die Pumpfunktion des Herzmuskels.
Das ist ein komplexer Vorgang, bei dem die Xenotransplantation den Vorteil hat, dass die Funktionalität des Organs schon mal gegeben ist. Meine Einschätzung ist die, dass durch die enormen Fortschritte in der Gen-Modifikation, etwa durch die Technik der Gen-Schere, die Xenotransplantation eher die Zukunft der Herztransplantation sein wird, als Organe, die aus dem 3D-Drucker kommen.
Wann wird das erste Schweineherz im Deutschen Herzzentrum transplantiert werden?
Das hängt jetzt sehr davon ab, wie erfolgreich die Transplantation in den USA weiter verläuft. Hinzu kommt, dass dieses Verfahren in Deutschland erst noch durch das Paul Ehrlich-Institut zugelassen werden muss. In diesem Zusammenhang müssen die Bedingungen festgelegt werden, unter denen eine solche Xenotransplantation auch bei uns in Deutschland möglich ist.
Hinzu kommt die ethische Diskussion in der Gesellschaft, die die Grundlage für die Akzeptanz einer solchen neuen Technologie ist. All das wurde jetzt durch die Transplantation eines Schweineherzens in den USA angestoßen und wird uns sicherlich in den nächsten Jahren noch sehr beschäftigen.
Herr Prof. Dr. Knosalla, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Ursula Stamm