Begleiterkrankungen & Komorbidität - Wenn mehrere Krankheiten gleichzeitig auftreten
Herzschwäche und Depression, Übergewicht und Diabetes - einige Erkrankungen bedingen oder verstärken sich gegenseitig. Welche Krankheiten häufig zusammenhängen, wie man sie frühzeitig erkennt und wie sich eine Zweiterkrankung verhindern lässt, haben wir hier zusammengetragen.
Wir erkranken an Diabetes, haben einen hohen Blutdruck oder neigen zu Infekten. Im besten Fall macht lediglich ein Organ Probleme, ohne dass das Auswirkungen auf die restliche Gesundheit hätte. In der Realität ist das nur selten der Fall. Zahlreiche psychische, psychosomatische und körperliche Erkrankungen treten gemeinsam auf oder bedingen sich gar.
Häufig beeinträchtigen chronische Krankheiten wie Krebs, Asthma oder Diabetes beispielsweise das alltägliche Leben und bedrohen Zukunftsperspektiven, so dass oft auch die Seele leidet. Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge hat bis zu einem Viertel der chronisch kranken Menschen eine Depression als Begleiterkrankung.
Mit zunehmendem Alter sind Komorbiditäten, wie Begleiterkrankungen in der Fachsprache heißen, eher die Regel als die Ausnahme. Die Unterscheidung von "Henne und Ei" im Sinne der Ursache ist oft nicht möglich. Das Problem: Komorbide Erkrankungen werden oft gar nicht, verspätet oder nicht ausreichend präzise diagnostiziert. Weil die Symptome komplex sind. Weil sich Krankheitsanzeichen überschneiden. In der Praxis fehlt es häufig an abgestimmten Therapieabläufen bei parallel vorliegenden Krankheiten – vor allem, wenn mehrere Ärzte und Facharztgruppen in die Behandlung eingebunden sind. Medikationen sind nicht oder nur unzureichend aufeinander abgestimmt.
Abhilfe schaffen könnte hier zukünftig die elektronische Patientenakte. Sie speichert alle wichtigen Informationen zum Patienten – und erleichtert die Kommunikation unter Ärzten, macht den Behandlungsvorgang von der Diagnose bis zur Therapie transparent und ermöglicht gemeinsame Behandlungspfade von mitbehandelnden Ärzten.
COPD und Osteoporose
In Deutschland leiden knapp sieben Millionen Menschen an COPD (chronic obstructive pulmona-ry disease, COPD), einer chronisch-obstruktiven Bronchitis mit oder ohne Lungenblähung. Betroffene husten dauerhaft Schleim, leiden unter Luftnot und einem pfeifenden Atem. Therapiert wird mit Kortison, bronchienweiternden Mitteln und Sauerstoff.
COPD-Patienten haben ein erhöhtes Risiko für zahlreiche Begleiterkrankungen wie Veränderungen an den Herzkranzgefäßen, Herzinfarkt, Bluthochdruck oder die Schaufensterkrankheit. Zudem erkranken sie häufiger an Knochenschwund (Osteoporose) und erleiden bei einer Osteoporose fast doppelt so häufig Knochenbrüche wie Menschen ohne COPD. Je fortgeschrittener die chronische Lungenerkrankung, desto höher ist das Risiko für Knochenschwund. Verschiedene Faktoren erhöhen das Risiko dafür:
• Rauchen,
• Zu wenig Bewegung,
• Mangelernährung mit Vitamin D-Mangel,
• Gewichtsverlust
• Therapie mit Kortisonspritzen oder -tabletten
Ärzte sollten daher schon im frühen COPD-Stadium Anzeichen für eine Osteoporose erfragen. Bei Verdacht auf Knochenschwund wird eine Knochendichtemessung durchgeführt. Bestätigt sich der Verdacht, können Medikamente und Bewegungstherapie die Knochen schützen. Auch die Patienten selbst können etwas tun: Um einer Osteoporose vorzubeugen, sollten sie Untergewicht vermeiden, sich viel draußen bewegen, das Rauchen einstellen und auf eine kalziumreiche, phosphatarme Ernährung achten.
Typ-1-Diabetes und Hashimoto-Thyreoiditis
Schilddrüsenerkrankungen und Diabetes mellitus zählen zu den häufigsten hormonellen Problemen in der Hausarztpraxis. Häufig hängen sie sogar zusammen: So erkranken beispielsweise Menschen mit Typ-1-Diabetes fünfmal häufiger an einer Hashimoto-Thyreoiditis als ansonsten Gesunde. Die Hashimoto-Thyreoiditis ist eine Autoimmunerkrankung, bei der die Schilddrüse dauerhaft entzündet ist, weil der eigene Körper Antikörper gegen die Schilddrüse bildet. Die Schilddrüsenzellen werden zerstört, so dass es an Schilddrüsenhormonen mangelt. Beim Typ-1-Diabetes wiederum zerstören Antiköper die Betazellen der Bauchspeicheldrüse, die normalerweise Insulin produzieren. Infolge des daraus resultierenden Hormonmangels steigt der Zuckerspiegel. Das Risiko, an Typ-1-Diabetes und Hashimoto zu erkranken, ist besonders hoch bei:
• Frauen,
• älteren Menschen,
• Personen, die bestimmte Antikörper haben (GAD-Antikörper) sowie
• Patienten, die bereits seit längerer Zeit Typ-1-Diabetes haben.
Eine Schilddrüsenunterfunktion macht häufig nur unspezifische Symptome. Daher sollten bei Menschen, die an Typ-1-Diabetes erkrankt sind, mindestens einmal im Jahr die Schilddrüsenhormone bestimmt und nach den typischen Antikörpern für die Hashimoto-Erkrankung gesucht werden. Auch wenn sich die Zuckerwerte aus unerfindlichen Gründen nicht stabilisieren lassen, ist eine Überprüfung der Schilddrüsenfunktion sinnvoll. Verhindern lässt sich die Erkrankung nicht – mittlerweile weiß man, dass Menschen mit einer Autoimmunerkrankung häufiger an weiteren solchen Krankheit erkranken.
Typ-2-Diabetes und Adipositas
Auch krankhaftes Übergewicht (Adipositas) und Diabetes hängen eng zusammen. Dabei tragen verschiedene Faktoren zum überflüssigen Gewicht bei. Zum einen schüttet der Körper bei einem beginnenden Diabetes vermehrt Insulin aus. Das wiederum bremst den Fettabbau, indem das Insulin dem Organismus signalisiert: Hier gibt’s genug Zucker, da müssen die Fettreserven nicht abgebaut werden. Gleichzeitig nehmen die Zellen vermehrt Glukose auf, können diese aber gar nicht verarbeiten. Durch den Überfluss an Glukose speichern insbesondere Fettzellen und die Leber vermehrt Energie in Form von Fett. Und weil das Insulin den Zucker unermüdlich in die Zellen schaufelt, fällt der Blutzucker rasch wieder ab. Die Folge: Heißhunger. So entsteht ein unheilvoller Kreislauf aus Nahrungsüberfluss, Insulin- und Zuckerschwemme sowie Übergewicht. Erschwerend kommt dazu: Jemand, der Übergewicht hat, bewegt sich weniger. Ab einem BMI von 30 steigt das Risiko für Diabetes wenigstens um das Dreifache.
Wer also seinen Typ-2-Diabetes besiegen will, muss Gewicht verlieren. Studien zeigen, dass eine Gewichtsabnahme um zehn bis 15 Kilo einen Typ-2-Diabetes erfolgreich verhindern kann. In der Regel funktioniert drastische Gewichtsabnahme nur, indem Patienten ihre Ernährung radikal umstellen – und auf Süßes und kohlenhydratreiche Nahrungsmittel wie Pasta, Nudeln, Brot und Reis verzichten. Boostern lässt sich die Umstellung durch eine mehrwöchige Formuladiät oder eine zweiwöchige Fastenzeit, natürlich nur unter ärztlicher Aufsicht.
Herz und Psyche
Das Herz bleibt vor Schreck stehen, schlägt uns bis zum Hals oder etwas gibt einen "Stich ins Herz". Der Volksmund weiß um die enge Verbindung zwischen Herz und Seele. Jeder vierte Patient mit einer chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankung hat zusätzlich Depressionen, Angst- oder Panikstörungen. Kein Wunder: Eine schwere Herzerkrankung, wie einen Herzinfarkt, erleben viele Patientinnen und Patienten als lebensbedrohlich; das geht nicht spurlos an der Seele vorbei.
Gleichzeitig haben depressive oder ängstliche Menschen häufiger Probleme mit dem Herzen. Schon vor 15 Jahren belegte die Interheart-Studie, dass Jobverlust, Trennung oder Tod eines nahen Angehörigen ein Drittel der Herzinfarkte mitverursacht. Wie das kommt? Gefühle wie Ärger, Wut und Anspannung aktivieren den Sympathikus; der Körper schüttet daraufhin Stresshormone aus. Die Blutgefäße verengen sich, Herzfrequenz und Blutdruck steigen. Durch die Stressreaktion stellt der Körper vermehrt Energie in Form von Fettsäuren und Zucker bereit – die aber gar nicht benötigt werden. Die Leber wandelt die Stoffe in "Stresscholesterin" um, das sich in den Gefäßen ablagert.
Auch der ungesunde Lebensstil erhöht das Risiko: Wer depressiv ist, raucht tendenziell mehr und bewegt sich weniger. Frustessen treibt Cholesterin- und Zuckerspiegel zusätzlich in die Höhe.
In der Akutkardiologie werden solche Zusammenhänge oft noch zu selten beachtet. Hilfe erhalten Patientinnen und Patienten von speziell ausgebildeten Kardiologen und Psychotherapeuten sowie in zertifizierten Herzzentren. Mittlerweile gibt es sogar ein eigenes Fachgebiet, das sich mit den Zusammenhängen zwischen Herz und Psyche beschäftigt: die Psychokardiologie.
Aber auch die Betroffenen sind ihrer Erkrankung nicht hilflos ausgeliefert: Entspannungsverfahren, um Stress zu reduzieren, Ernährungsberatung, Rauch-Stopp-Programme, Sport- und Bewegungsangebote verhelfen zu einem gesünderen Lebensstil. Verhaltenstherapie unterstützt die Menschen dabei, besser mit den Belastungen umgehen zu können. Angebote gibt es ambulant oder stationär, als Gruppen- oder Einzelgespräche.
Parodontitis und Diabetes
Eine Zahnbettentzündung, in der Fachsprache Parodontitis genannt, gilt schon länger als Risiko für eine Diabeteserkrankung. Bei einer Parodontitis bilden Bakterien auf der Zahnoberfläche einen Film. Dieser verhärtet sich zu Plaque, die sich langsam am Zahnfleischrand ausbreitet und wie ein Stoßkeil das haltende Weichgewebe von der Zahnwurzel löst. Es bildet sich eine Zahnfleischtasche, in der sich Bakterien ansiedeln, welche die Zerstörung beschleunigen.
Einiges deutet darauf hin, dass die Gefahr aus dem Mund noch viel mehr Schaden anrichtet: Auch Herzinfarkt, Frühgeburt, Rheuma, Impotenz und sogar einige Krebsarten bringen Forscher mit Parodontitis in Verbindung. Die Entzündung löst diese Krankheiten nicht direkt aus, sondern begünstigt sie als wichtiger Risikofaktor, ähnlich wie Übergewicht oder Rauchen.
Bekannt sind bei Diabetes vor allem Schäden an den Nieren, den Augen und den Füßen. Weniger bekannt ist, dass die Zuckerkrankheit auch Entzündungen begünstigt – durch eine geschwächte Immunabwehr und eine erhöhte Entzündungsneigung. Daher leiden viele Diabetiker auch an einer Parodontitis.
Das Problem: Eine unbehandelte Zahnfleischentzündung kann die Einstellung des Blutzuckers erschweren, da die Parodontitis die Wirkung des Insulins abschwächt. Die lokale Entzündung setzt zahlreiche Entzündungsmediatoren frei, welche die Insulinwirkung blockieren. Die Zellen sprechen schlechter auf Insulin an. Die Diabetesgefahr steigt, der Blutzuckerspiegel schwankt stärker. Die Bauchspeicheldrüse muss mehr arbeiten – und nimmt Schaden.
Umgekehrt wird mancher Parodontitis-Patient zuerst von seinem Zahnarzt darauf hingewiesen, dass eine Zuckerkrankheit vorliegen könnte. Wird die Mund-Entzündung besänftigt, verbessern sich auch die Blutzuckerwerte. Und eine gute Blutzuckerkontrolle begrenzt die Entzündung.
Die Mundkeime konsequent zu bekämpfen ist daher nicht nur wichtig, um die eigenen Zähne zu erhalten. Sie hilft auch, den restlichen Körper gesund zu halten. Am besten gelingt das durch tägliches Reinigen der Zahnzwischenräume mit Zahnseide oder Bürstchen.
Wer weniger raucht, senkt zusätzlich sein Entzündungsrisiko. Eine professionelle Zahnreinigung (PZR) – am besten alle halbe Jahre – beseitigt kleine Infektionsnester am Zahnfleischsaum. Manche Krankenkassen übernehmen oder bezuschussen die PZR, ansonsten kostet sie 60 bis 200 Euro.
Text: Constanze Löffler