Zuzahlungen für Rettungseinsätze - In Brandenburg die 112 zu wählen kann teuer werden

Di 18.03.25 | 14:38 Uhr
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Symbolbild: Ein Notarzt Fahrzeug und ein Rettungswagen stehen an einer Einsatzstelle. (Quelle: dpa/Stratenschulte)
Bild: dpa/Stratenschulte

In mehreren Brandenburger Landkreisen drohen Patienten Zahlungsaufforderungen für Rettungseinsätze. In einem Landkreis sind die ersten Rechnungen bereits verschickt. Fragen und Antworten zum Streit zwischen Krankenkassen und Kommunen.

Warum können Patienten in Brandenburg für Rettungseinsätze Zuzahlungsbescheide erhalten?

Seit dem 1. Januar 2025 übernehmen die Krankenkassen nicht mehr die vollständigen Kosten für Rettungseinsätze. Grund dafür ist ein Streit über die Höhe der Einsatzkosten zwischen den Kommunen und den Krankenkassen, bei denen die entstandenen Kosten für die Einsätze eingereicht, abgerechnet und erstattet werden. Diese Kostenerstattung findet nicht mehr in voller Höhe statt.

Was ist das Kernproblem?

Wird der Notruf 112 angerufen und ein Rettungswagen geschickt, entstehen Kosten. Bei Verdacht auf einen Herzinfarkt etwa kommt zusätzlich ein Notarzt mit eigenem Fahrzeug dazu, wodurch die Kosten weiter steigen. Diese werden an die Krankenkassen weitergeleitet, damit sie für den Aufwand finanziell aufkommen. Wird der Betrag übernommen, war der Einsatz finanziell gedeckt, fertig.

Doch die Krankenkassen sind mit dem bisherigen Modell nicht glücklich. Sie werfen den Rettungsdienstträgern vor, zu hohe Gebühren in Rechnung zu stellen. Diese erwidern, die Kalkulation würde stimmen. Weil man sich bisher nicht anders einigen konnte, zahlen die Krankenkassen seit Jahresbeginn in einigen Brandenburger Landkreisen nur noch einen Festbetrag. Die Differenz zu den Kosten, die die Kommunen in Rechnung stellen, müssten die Patienten zahlen, die durch ein Rettungsteam medizinisch versorgt wurden - wenn denn tatsächlich solche Aufforderungen mit der Post am Ende verschickt werden. Zumindest in Märkisch-Oderland sind die ersten Zahlungsaufforderungen bereits versendet worden, erklärte der Gemeinnützige Rettungsdienst Märkisch-Oderland auf Nachfrage von rbb|24.

In Oberhavel seien keine Gebührenbescheide rausgegangen. Im Landkreises Oberspreewald-Lausitz seien zwar ebenfalls keine Rechnungen an Patienten rausgegangen, doch dass das so bleibe, könne für die nahe Zukunft nicht ausgeschlossen werden, hieß es auf Nachfrage.

Welche Landkreise in Brandenburg sind betroffen?

Betroffen sind neun Landkreise: Barnim, Märkisch-Oderland, Oder-Spree, Oberspreewald-Lausitz, Spree-Neiße, Teltow-Fläming, Oberhavel, Uckermark und Potsdam-Mittelmark.

Wie hoch können die Zuzahlungen für Patienten ausfallen?

Die Höhe der Zuzahlungen variiert je nach Landkreis. In Märkisch-Oderland beispielsweise kann der Differenzbetrag für einen Krankenwageneinsatz bei 200 Euro liegen, weitere 251 Euro kommen hinzu, wenn ein Notarzt an dem Einsatz beteiligt war. Das sind mehr als 400 Euro, die Patienten in Rechnung gestellt werden könnten, selbst wenn jemand tatsächlich einen Herzinfarkt hatte und dringend in die Klinik musste.

Sollten andere Landkreise nachziehen, könnten Hunderte Briefe mit Rechnungsforderungen rausgehen. Möglicherweise kann im Einzelfall Widerspruch eingelegt und der Bescheid an die Krankenkasse weitergeleitet werden.

Was hat es mit den sogenannten Leerfahrten auf sich?

Von einer "Leerfahrt" ist die Rede, wenn ein Krankenwagen gerufen wird, vor Ort aber keine medizinische Versorgung erfolgt. Solche Fahrten sind für den Rettungsdienst ein zunehmendes Problem, nicht nur in Brandenburg. Doch in Bezug auf die aktuelle Neuregelung spielen sie keine wirkliche Rolle. Denn sogenannte Leerfahrten konnten auch schon vorher den Versicherten in Rechnung gestellt werden, wenn sie nicht von den Krankenkassen übernommen wurden. Die Kosten könnten am Ende nur höher sein, da sie vollumfänglich statt anteilig erstattet werden müssten, sagt Daniel Werner, Geschäftsführer des Gemeinnützigen Rettungsdienstes Märkisch-Oderland.

Auf welche Argumenten stützen sich die Streitenden?

Die Krankenkassen argumentieren, dass die Landkreise und kreisfreien Städte Gebühren einseitig durch Gebührensatzungen festlegten. Sie hätten hierbei kein Mitspracherecht. Deshalb berufen die sich nun auf eine Musterkalkulation, die auch das Brandenburger Gesundheitsministerium anerkennt.

Die Kommunen aber halten die Musterkalkulation für mindestens fragwürdig. Denn die sei quasi im Alleingang von einer externen Consulting-Firma erarbeitet und schließlich vom Land und den Krankenkassen akzeptiert worden. Bis heute, und das ist die Kritik, habe niemand in den Kommunen diese Musterkalkulation händisch zu fassen bekommen, um diese zu überprüfen.

Der Bitte um Einsicht sei das Gesundheitsministerium bisher nicht nachgekommen, heißt es in den Kommunen. Auf Nachfrage von rbb|24 erklärte das Gesundheitsministerium aber, dass die Musterkalkulation allen Beteiligten vorliege.

Das stimme nicht, sagt Werner vom Gemeinnützigen Rettungsdienst Märkisch-Oderland. Was vorliege, sei eine Verschwiegenheitserklärung. Erst wenn die unterschrieben sei, würde den Landkreisen die besagte Musterkalkulation zugeschickt werden. Das Problem: Es könne nur eine Person unterschreiben, was auf großes Unverständnis stößt. "Wie soll das gehen? Das nimmt mich und mein Team aus der Einsicht raus, folglich kann außer dem Landrat niemand die Kalkulation überprüfen", kritisiert Werner. Ähnlich argumentierte ein weiterer Landkreis auf Nachfrage von rbb|24. Der Vorgang sei nicht "politisch nicht erklärbar", heißt es da.

In Märkisch-Oderland soll nun eine "erweitere Einverständniserklärung" abgegeben werden, sodass mehr Personen an der Überprüfung des Dokuments beteiligt werden können, sagte Werner.

Ist das Vorgehen der Rettungsdienste juristisch untermauert?

Ja, das sagen zumindest die Kommunen, aber selbst im Gesundheitsministerium scheint es zumindest keine große Widerrede zu geben. Der Patient sei der "Gebührenschuldner" im Rettungsdienst und somit auch Adressat, das gehe aus der Rettungsdienstgebührensatzung hervor, sagt Werner. Kurz: Sofern Krankenkassen für Rettungseinsätze nicht aufkommen, dürften Patienten in so einem Fall zur Kasse gebeten werden.

Das Gesundheitsministerium reagierte auf Nachfrage von rbb|24: Man hoffe, dass die betroffenen Kreise keine Gebührenbescheide an Bürgerinnen und Bürger verschickten, hieß es. Das Ministerium wies auf das Brandenburgische Rettungsdienstgesetz hin, in dem wörtlich stehe: "Zur Finanzierung des Rettungsdienstes sind dessen Träger berechtigt, Benutzungsgebühren zu erheben."

Spitzt sich der Streit weiter zu?

Brandenburgs Gesundheitsministerin Britta Müller (parteilos, für das BSW) forderte die Landkreise Anfang der Woche auf, "ihrer politischen Verantwortung für die Menschen gerecht zu werden" und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Einen "Blankoscheck werden sie von den Kassen nicht bekommen", so Müller.

Parralel zur aktuellen Entwicklung werde in den Kommunen an einem geeinten Kalkulationsmodell gearbeitet, kündigte Werner an. Dieses wolle man dann als Alternative vorgelegen.

Kommentar

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72 Kommentare

  1. 72.

    Was sollen diese sinnfreien Fragen? Solange sie nicht in Regierungsverantwortung ist, hat sie genau das: Keine Verantwortung. Ob sie als Opposition wirksam ist, ist dagegen eine persönliche Ansichtssache, die Sie für sich bereits entschieden haben.

  2. 71.

    Was ist den wenn ich eine Unfall beobachte und den Rettungswagen hole und
    der Verunfallte mir dann die Rechnung nicht bezahlen will ? Bzw. wer zahlt dann ?
    Also am besten Augen zu und am Auto das vor der Baum gefahren ist vorbeifahren ?

  3. 70.

    Wir haben sowieso zu viele Krankenkassen. Könnte man herausfinden, welche sich zu fein sind, ihre Pflicht zu erfüllen? Damit man entsprechend wegwechseln kann.

  4. 68.

    Muss man unbedingt in jedem Post die AfD unterbringen, nur weil es um Brandenburg geht, egal ob es passt oder nicht? Diese Partei hat mit dem aktuellen Streit um die Gebühren rein gar nichts zu tun, da sie außer in einem Fall in Brandenburg gar nicht den Landrat stellen. Wer einen Gebührenbescheid erstellt, muss den so transparent und nachvollziehbar gestalten, dass die geforderten Kosten als gerechtfertigt erscheinen und nachvollziehbar sind. Dem ist offensichtlich nicht so, weshalb die Krankenkassen nur einen Teil davon erstatten, der auf einer vom Ministerium anerkannten Musterberechnung beruht.

  5. 67.

    Die Krankenkassen sind bei dem Streit grundsätzlich erst mal im Recht, wenn sie feststellen, dass Gebühren außergewöhnlich hoch ausfallen und deren vollständige Begleichung dann erst mal zurückhalten. Sie sind nicht für die Finanzierung des Rettungsdienstes an sich zuständig, sondern für die Begleichung der Einsatzkosten, wenn diese aufgrund eines Notfalls oder eines begründeten Verdachts anfallen. Tauchen in der Gebühr andere Nebenkosten auf, die mit dem Einsatz nichts zu tun haben, dann ist deren Begleichung nicht Aufgabe der Krankenkassen. Wenn die Landkreise denn von der Richtigkeit ihrer Gebührenbescheide so überzeugt sind, dann könnten sie das vor Gericht einklagen und die Sache wäre geklärt. Dass man es stattdessen auf dem Rücken der Bürger austrägt, zeugt davon, dass die Bescheide tatsächlich überhöht und damit teilweise unberechtigt sind. Die Landkreise müssen ihre Rechnung offen legen, nicht anders herum.

  6. 66.

    Der Rettungsdienst ist für Notfälle da. Nicht für Taxifahrten. Man muss sich mal anschauen, was ein Notfall laut gesetzt ist. Das ist im Gesetz knallhart definiert. was ist eigentlich in Brandenburg los, mit der 116 117? Gibt es sie noch?

  7. 65.

    Gerade habe ich die Beiträge zum Bericht des rbb gelesen. Kann man bitte vielleicht kurz innehalten: Es geht darum, in einem Flächenland unnötige Kosten bei den Rettungsdiensten zu reduzieren, damit diese wieder für die echten Notfälle da sind. Und es geht darum, dass die 116117 nicht bekannt ist und gewählt wird, nicht wahr? Diejenigen, die unbetechtigt Kosten produzierrn, sollen dafür zahlen, oder? Was spricht dagegen, wenn doch viele Foristen hier bei der Debatte um die Schuldenbremse Sparsamkeit einfordern? Und - weil die Beiträge hier bei mir so ankommen - man würde in Brandenburg lieber sterben als 200 Euro für einen unberechtigten Notfalleinsatz zu zahlen? Achja: In den Landkreisen Brandenburgs hat doch die AfD oft die Mehrheit? Und diese Mehrheit beschließt zu hohe Kosten gegenüber den Krankenkassen und legt die Kalkulation nicht offen? Wie wird das gefunden? Ich frage ja nur, ich verstehe es nicht ...

  8. 64.

    Dann gibt es halt nur für die Leer-Einsätze hinterher eine Rechnung nach Hause. So „erzieht“ man die, die unüberlegt handeln und bestraft nicht die, die mit nem Schlaganfall auf die Stroke müssen etc !

  9. 63.

    Das Gesundheitssystem krankt an vielen Stellen. Und das schon seit Jahren zunehmend.
    Und, auch das müssen wir uns als Gesellschaft vor Augen halten, eine gewisse Verwöhntheit…
    Fünfzig Prozent meiner nicht wenigen „Leerfahrten“ sind dem nicht vorhandenen kassenärztlichen Dienst (116117) auf dem Lande geschuldet, wie im Beitrag vorher beschrieben. Einfache Abwälzung auf den Rettungsdienst.
    Die anderen Einsätze sind schlicht Lappalien, weil irgendwie die Leute vergessen haben, zu überlegen.
    Auf unseren Autos und Klamotten steht „Rettungsdienst“ . Ein eingewachsener Zehnagel muss nicht zwingend nachts um zwei gerettet werden.

    Diese sinnlosen Fehlfahrten treiben die Kosten der Rettungsdienste in die Höhe. Und die Kassen wollen sowas nicht bezahlen, auch irgendwie berechtigt.

  10. 62.

    Sag mal geht’s noch? Bei einem echten Notfall ins Krankenhaus müssen und dafür bis zu 400€ zahlen ..?! Ich glaub es hackt !

  11. 61.

    Sofern diese Musterkalkulation tatsächlich unter Verschluss gehalten wird, steht hier im Raum, dass betrogen wird. Denn wie Bundesland, Kassen und Landkreise feststellen ist der Patient der "Vertragspartner" und diesem müsste dann diese Musterkalkulation zur Verfügung stehen. Wird ihm dieses vorenthalten ist davon auszugehen, dass die Kalkulation das Geld nicht wert ist was für die Anfertigung ausgegeben wurde.

  12. 60.

    Diese "Leerfahrten", bei denen zumindest der Patient dann nicht mitgenommen wird, sind zum Teil durch die Kassenärztliche Vereinigung mit verursacht! im LK Oberhavel bereits mehrfach moniert, dass wenn man 116117 wählt man nicht mit einem Bereitschaftsarzt verbunden wird oder die KV einfach nur Kassenärztlichen Bereitschaftsdienst vorbeischickt, nein man macht es sich einfach: Sie schicken einfach den RTW obwohl medizinisch keine Notwendigkeit vorliegt. Ich hoffe hier wird dann auch die KV zur Kasse gebeten wegen Totalversagen. Die Häufigkeit mit der dieses auftritt deutet auch nicht mehr auf Patientenschutz hin, sondern auf Kostenabwälzung.

  13. 59.

    Würdest du genauso warten wenn du per Notfallrettung kommst. Die Klinik triagiert, dabei ist es egal auf welchem Wege du ins Haus kommst, nur die Krankheit zählt.

  14. 57.

    Aus meiner Sicht wird dieser Streit auf dem Rücken der Versicherten ausgetragen. Warum wurde eine Einigung in den anderen Landkreisen gefunden. Da diese Auseinandersetzung ja schon mehrere Jahre geht Frage ich mich ob das nicht lange genug war.
    Natürlich trift das die am härtesten die in Rente sind und durch die niedrigen Einkommen im Osten auch wenig am Monatsende überwiesen bekommen. Die erste Rechnung die ich gesehen habe ist mit knapp 800 € auch enorm hoch. Und Gebühren sind ohne Gerichtsbeschluss vollstreckbar.

  15. 56.

    Ich habe noch nie verstanden, warum im Rettungsdienst immer nach der Anzahl der Einsätze abgerechnet wird---und nie nach Stundenlohn bzw. nach Monatsgehalt.
    Zuzüglich Nutzungsentgeld für die Fahrzeuge, Spritgeld, Materialverbrauch, Überstunden, Wochenenddienst.......

    Hat schon einmal jemand die Kosten miteinander verglichen?

    Wer eine längere Anfahrzeit hat, kann weniger Einsätze abarbeiten, wer innerhalb eines Ballungsgebietes gerufen wird--kann zeitgleich mehr Einsätze fahren--obwohl doch die Monatsgehälter eindeutig berechnet werden--für alle gleich.
    Oder bekommen Rettungsfachkräfte ihr Gehalt nach Einsatzzahlen berechnet?

    Es wäre doch einmal spannend zu erfahren--ob und in welcher Höhe sich die Kosten--je nach Berechnung-- unterscheiden.

  16. 55.

    " Wer keine Kassen-Beiträge zahlt ist fein raus "

    nicht unbedingt, ob GKV oder nicht versichert, der Betroffene bekommt die Rechnung , Name und Anschrift sind ja bekannt

  17. 54.

    " Eine Erwägung, die bei erster Hilfe keine Rolle spielen sollte. "

    genau, außerdam kann der Notarzt bescheinigen, dass die Anforderung begründet war

  18. 53.

    Wer keine Kassen-Beiträge zahlt ist fein raus--jeder darf anrufen, so oft er will--auch wenns nicht unbedingt ein Notfall ist.

    Pflegekosten, Krankenkassenbeiträge--jetzt auch Notarzt-Rettungswagen-Einsatz-Kosten--kann es sein, dass man das Geld wieder einmal bei denen holt, die Beiträge zahlen um diejenigen mit zu finanzieren --die keine Beiträge zahlen?

    Da es wohl unter einem Kanzler Merz keinen Politikwechsel geben wird--wird das erst der Anfang sein.