Gras auf Wiese entlässt Pollen in Luft (Bild: unsplash/Wolfgang Hasselmann)
Bild: unsplash/Wolfgang Hasselmann

Interview l Umweltmedizin - Allergie & Klimawandel: Menschen leiden länger

Klima im Wandel hat Folgen für die Gesundheit. Das merken Pollenallergiker intensiv: Phasen, in denen sich Betroffene von ihrer Allergie erholen konnten, wird es bald nicht mehr geben. Davon gehen zumindest Forschende wie Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann aus. Was heißt das konkret, z.B. für die Hyposensibilisierung? Oder die "Fitness des Immunsystems" von Allergiegeplagten?

Bei einer Allergie reagiert unser Immunsystem auf Proteine in Pollen - hält sie für Krankheitserreger. Es bildet die sogenannten IgE-Antikörper, die wie eine Art Feuerwehrsirene agieren, an Mastzellen andocken und sie zur Produktion z.B. Histamin, also von Entzündungsstoffen anzuregen.

Das Abwehrsystem des Körpers soll reagieren, wie bei einer Entzündung mit schädlichen Erregern - deshalb sind Allergiebeschwerden denen von Erkältungen ähnlich. Schleimhäute schwillen zu Höchstform an, denn die Pollen-Proteine sollen raus - rausgespült, rausgenießt, rausgetränt.

Frau Prof. Traidl-Hoffmann, wie wirkt sich der Klimawandel auf Allergien aus?
 
Der Klimawandel wirkt auf vier verschiedene Arten und Weisen auf Allergien:
Die Pollensaison verlängert sich, das heißt sie fängt früher an und endet später. Es fliegen mehr Pollen, also die Quantität verändert sich. Zudem ist die Qualität anders, was die Pollen allergieauslösender macht. Dass Pollen sich verändern liegt zum einen an Umweltschadstoffen, aber auch zum Beispiel an Bodenversieglungen. Durch Versiegelungen, die komplexe Effekte auf Umweltsysteme haben. Außerdem sind auch neue Arten hier heimisch, die neue Pollen zu uns bringen, zum Beispiel das Beilfußblättrige Traubenkraut.

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Was bedeutet eine solche verlängerte Pollensaison für Betroffene?
 
Das bedeutet natürlich, dass sie mehr leiden und mehr Symptome haben.
 
Gleichzeitig hat das zur Folge, dass Allergiker weniger arbeitsfähig sind in dieser Zeit. Es ist jetzt schon so, dass wir für Allergien in Europa 151 Milliarden Euro sozioökonomische Kosten haben. Das sind Zahlen, die durchaus relevant sind, denn wir haben jetzt schon 40 Prozent an Menschen, die an Allergien leiden.

Wie können Allergikerinnen und Allergiker bei einer langen Pollensaison eine Hyposensibilisierung durchführen, also versuchen das Immunsystem zu trainieren?
 
Man sollte eigentlich mit einer Hyposensibilisierung in einer Zeit beginnen, in der keine Pollensaison ist. Diese Zeit wird jetzt immer knapper, das heißt: man muss den Herbst abwarten und dann kann es teilweise sogar erst im November losgehen.
Das ist eine Herausforderung, der wir uns stellen müssen.

Wenn das Immunsystem eines Allergikers/einer Allergikerin lange Zeiten des Jahres mit einer Reaktion auf die Pollen beschäftigt ist, ist es dann weniger resistent gegenüber anderen Erregern? Zum Beispiel Viren?
 
Da gibt es viele Forschungen, die vermuten, dass man als Allergiker weniger Botenstoffe produziert, die gegen Viren gerichtet sind. Es gibt Hinweise, dass es so ist, aber es ist noch nicht hundert Prozent klar.
 
Was wir gesichert wissen ist, dass der Pollen an sich die Immunreaktion schwächt, das heißt, der Pollen lähmt die Botenstoffe, die wir anfangs auf den Schleimhäuten gegen Viren richten.
So ist jeder Mensch, der mit Pollen in Kontakt kommt, betroffen. Deshalb treten in der Pollensaison mehr Atemwegsinfekte auf und in dieser Zeit traten, so weit wir wissen, auch mehr Corona-Infektionen auf.

Wenn wir in die Zukunft blicken: Gibt es bald überhaupt noch allergiefreie Monate oder sind Pollenallergiker bald ganzjährig betroffen?
 
Meine Prognose ist, dass saisonale Allergien zu ganzjährigen Allergien werden. Das kennen wir jetzt schon von den Hausstaubmilben und das wird bei den Pollen sicher so kommen. Nicht im nächsten Jahr, aber in den nächsten fünf bis zehn Jahren werden wir dieses Phänomen bei voranschreitendem Klimawandel sehen.

Was können Betroffene tun?
 
Zum einen erst mal die richtige Diagnose stellen lassen, also feststellen, auf was man allergisch ist. Dann kann ich hoffen, dass ich nur eine Allergie habe, denn dann kann ich versuchen, eine Hyposensibilisierung durchzuführen.
Zudem kann man die Symptome behandeln, das heißt man sollte einen Facharzt kontaktieren. Hier bietet sich ein Facharzt für Dermatologie, für Hals-Nasen-Ohren Heilkunde oder Lungenheilkunde an, der die Zusatzbezeichnung Allergologie erworben hat.
 
Dann müssen wir natürlich am ganz großen Rad drehen und dafür sorgen, das 1,5 Grad-Ziel einzuhalten und somit den Klimawandel einzudämmen.

Wie wird sich der Klimawandel noch auf Pollen auswirken?
 
Ein weiteres Phänomen ist das sogenannte Thunderstorm-Asthma, das ist Gewitterasthma.
Bei extremen Wetterereignissen wie Gewitter kommt es dazu, dass Pollen aufplatzen und aufgrund der kleineren Größe in tiefere Lungenabschnitte eindringen können.
 
Die Folgen können sehr schwere Asthmaattacken sein. Das Phänomen tritt bei Allergikern und Nicht-Allergikern auf. Das können wir in einer in Augsburg durchgeführten Studie sehen. Aus Australien ist bekannt, dass es durch Gewitter-Asthma schon Todesopfer gibt.

Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Laura Will

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