Interview l Wirkung von Impfstoffen bei Immunschwäche - "Jede Impfung ist besser als keine Impfung"
Menschen, deren Immunsystem durch Krankheit oder Medikamente nicht hundertprozentig arbeitet, können häufiger Infektionen bekommen und daran schwerer erkranken. Gleichzeitig wirken Impfungen - einschließlich der gegen COVID-19 - bei ihnen weniger gut. Wie können sie sich trotzdem gut schützen? Fragen an den Rheumatologen Prof. Christian Kneitz aus Schwerin, der in seiner Schwerpunkt-Praxis viele Menschen mit gedämpftem und geschwächten Immunsystem betreut.
Prof. Dr. Kneitz, ist Ihr Impfschutz denn aktuell?
Auf jeden Fall. Das schulde ich schon allein meinen Patienten. Einige nehmen Mittel, die das Immunsystem sehr schwächen. Die möchte ich nicht gefährden. Meine letzte Impfung war der Corona-Booster.
Bei Immunschwäche denken viele erst mal an HIV, an Chemo oder Organtransplantation. Wenn man Sie reden hört, gibt es noch viel mehr Betroffene.
In der Tat ist die Gruppe derer, bei denen das Immunsystem nicht hundertprozentig funktioniert, größer als es sich die meisten Menschen vorstellen. So können etwa Patienten mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Nierenschwäche, mit Herz- und Atemwegserkrankungen eine geschwächte Abwehr haben.
Wir Rheumatologen sehen viele Menschen mit chronischen Entzündungen und Autoimmunerkrankungen beispielsweise des Bewegungsapparates. Sie bekommen Medikamente, die das Immunsystem ausbremsen.
Von wie vielen Menschen sprechen wir denn?
Wir gehen davon aus, dass hierzulande 8,2 Millionen und damit rund zehn Prozent der Bevölkerung eine Erkrankung haben, in deren Folge das Immunsystem nicht hundertprozentig arbeitet. Knapp 10.000 davon haben eine angeborene Immunschwäche.
Vermutlich unterscheidet sich die Immunantwort von Krankheit zu Krankheit, von Therapie zu Therapie ...
Richtig. Bleiben wir einmal bei meinem Fachgebiet: Nicht jede Autoimmunerkrankung bedeutet zwangsläufig, dass die Patienten eine Immunschwäche entwickeln. Im Gegenteil: Fast alle rheumatologischen Patienten können trotz ihrer Grunderkrankung eine ordentliche Immunantwort bilden.
Ist die rheumatische Erkrankung allerdings entzündlich sehr aktiv, kann die Immunantwort gestört sein.
Auch manche immunsuppressive Therapien führen dazu, dass die Immunantwort geringer ausfällt.
Dank Corona diskutieren die Menschen heute auf Twitter, ob nun Antikörper oder T-Gedächtniszellen für einen langfristigen Impfschutz wichtiger sind. Welcher Teil des Immunsystems funktioniert bei Menschen mit einer Immunsuppression nicht so richtig?
Auch das hängt von der jeweiligen Erkrankung und der Therapie ab. Bei einer radikalen Chemotherapie fallen die weißen Blutkörperchen weg, die entscheidend für eine Immunantwort sind.
Bei uns in der Rheumatologie setzen wir häufig moderne Medikamente wie Biologika ein, die manchmal nur einen einzigen Botenstoff in der Entzündungskaskade blockieren. Je nachdem, welcher Faktor blockiert wird, treten unterschiedliche Infektionen vermehrt auf.
Um schwere Infektionen zu vermeiden und gut geschützt zu sein, benötigen Menschen mit einer Immunschwäche mehr Impfungen. Welche sind das?
Für sie kommen erst mal alle von der STIKO empfohlenen Impfungen mit Totimpfstoffen in Frage. Über die Anwendung von Lebendimpfstoffen muss der behandelnde Arzt individuell entscheiden.
Für einen guten Schutz können zusätzliche Impfungen sinnvoll sein: Patienten mit chronischen Erkrankungen sollten sich beispielsweise jedes Jahr gegen die Grippe impfen lassen. Auch der Impfschutz gegen Hepatitis B, Pneumokokken und eventuell auch Meningokokken sollte aktuell sein.
Bei Mädchen und jungen Frauen ist die HPV-Impfung sinnvoll, bei Älteren ab 50 die Vakzine gegen Gürtelrose.
Leider ist die Impfquote bei einigen Impfstoffen nicht so gut, wie wir uns das wünschen. Wir haben nicht erst seit Corona ein in Deutschland ein Problem mit der Akzeptanz empfohlener Impfungen.
Fällt die Impfantwort eigentlich bei allen Impfstoffarten gleich aus, also egal, ob ein mRNA-, Protein- und Totimpfstoff gespritzt wird?
Die verschiedenen Impfstoffe lösen unterschiedliche Impfantworten aus. Einige Impfungen sprechen die spontane Immunabwehr an, bei der Antikörper gebildet werden. Ein Großteil zielt auf die zelluläre, verzögerte Immunantwort ab, die sich dann mit der spontanen Impfantwort vernetzt.
Manche verursachen eine stärkere Immunantwort, bei anderen fällt sie schwächer aus. Das gleichen wir teilweise über die Dosis aus. Beim Influenza-Impfstoff können wir beispielsweise seit diesem Jahr einen höher dosierten Impfstoff für ältere Patienten verwenden.
Welchen Impfstoff der Arzt am Ende wählt, orientiert sich wieder an der Grunderkrankung und den eingesetzten Therapien.
Nicht bei allen fällt der Impfschutz gleich aus.
Kaum geschützt nach Impfung sind Menschen, bei denen das Immunsystem stark heruntergefahren ist, die also etwa eine Chemotherapie bekommen, deren HIV-Infektion nicht ausreichend behandelt ist, Menschen mit Erkrankungen des Knochenmarks und des blutbildenden Systems oder mit schwerer Nierenschwäche.
Was kann man tun, damit es gar nicht erst so weit kommt?
Ich rate jedem, auch den Gesunden, die von der STIKO empfohlenen Impfungen aktuell zu halten. Vor allem Impfungen mit Lebendimpfstoffen, wie gegen Masern, dürfen wir nach Beginn einer immunsuppressiven Therapie nicht mehr verabreichen. Ist man dann erst mal krank, muss der Arzt bei Impflücken abwägen, was jetzt wichtiger ist - Impfung oder Therapie?
Im akuten Schub einer Autoimmunerkrankung würde man ohnehin vermeiden zu impfen, da eine Impfung das Immunsystem stimulieren kann und das will man in dieser Situation ja gerade nicht. Wir impfen lieber, wenn die Erkrankung "still" ist.
Wie sieht es mit den Impfungen unter Therapie aus? Oder würde man diese dann unterbrechen?
Es geht immer darum, Vor- und Nachteile von Therapie und Impfung abzuwägen. In der Regel wird man eine Therapie nicht unterbrechen, vor allem keine Krebstherapie.
Damit eine Impfung gut wirkt, sollte die Intensität der immunsupprimierenden Therapie möglichst niedrig sein. Man würde daher etwa in der Mitte des Behandlungszyklus mit einem Totimpfstoff impfen. Die sind für Menschen mit einer Immunschwäche in der Regel unbedenklich. Weil die Impfantwort oft schwächer ausfällt und weniger lange anhält, sind regelmäßige Auffrischimpfungen notwendig.
Was können Menschen mit Immunschwäche sonst noch tun, um sich zu schützen?
Zum einen sollten sich Kontaktpersonen impfen lassen, das schützt die Patienten indirekt.
Die Patienten selbst sollten sich an die Hygienemaßnahmen halten (AHA+): Maske tragen, Abstand halten, Hände waschen und desinfizieren. Dass diese Maßnahmen wirken, haben verschiedene Untersuchungen der letzten zwei Jahre gezeigt. So gab es in den letzten Jahren kaum Grippefälle. Die Kinderärzte hatten weniger mit Infekten zu kämpfen. Und auch aus den Praxen, die Krebspatienten betreuen, wird berichtet, dass es wegen der allgemeinen Schutzmaßnahmen in den vergangenen zwei Jahren weniger Komplikationen durch Infektionen gab.
Ich selbst habe kaum noch Infekte, seit ich insbesondere in geschlossenen Räumen und da, wo viele Menschen unterwegs sind, konsequent eine Maske trage.
Herr Prof. Dr. Kneitz, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Constanze Löffler
Überblick: Impfstoffwirkung bei Immungeschwächten
Quelle: Epidemiologisches Bulletin 34/2020 / Wagner N et al. Bundesgesundheitsblatt 2019;62:494-515 / Pfizer