Interview | Solidarisches Bauen - "Wir müssen Wohnungsbau wieder in unserer Gesellschaft verankern"

So 16.03.25 | 16:43 Uhr
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Wohnstadt Carl Legien in Berlin Prenzlauerberg, aufgenommen im Januar 2024. (Quelle: rbb/Jannis Hartmann)
Bild: rbb/Jannis Hartmann

Bei Mieten und Neubau steckt Berlin weiter in der Krise. Architekt Steffen Adam sagt: Eine Lösung wurde schon vor 100 Jahren gefunden: Mit dem solidarischen Wohnungsbau der Gehag.

rbb: Herr Adam, Sie geben Führungen durch Sozialbausiedlungen. Das ist ja wieder ein gefragtes Thema. Was gibt es denn da in Berlin zu sehen?

Steffen Adam: Ja, tatsächlich ist das ein gefragtes Thema. Besonders interessiert mich allerdings der Wohnungsbau für wirklich jedermann. Ich nenne das "solidarischen Wohnungsbau". Also: Viele Akteure tun sich zusammen.

die gehag

Im April 1924 erteilte die Stadt Berlin der gewerkschaftseigenen Gehag den Auftrag, bezahlbare Wohnungen für ärmere Menschen zu bauen. Es entstanden viele Arbeitsplätze und mehrere Großsiedlungen mit günstigen Mieten in Berlin, zum Beispiel die Waldsiedlung Onkel Toms Hütte, die Hufeisensiedlung und die Wohnstadt Carl Legien.
In der Nachkriegszeit baute die Gehag weiter, bis der Skandal um die Neue Heimat dem gewerkschaftlichen Wohnungsbau ein Ende setzte. Als auch der Berliner Senat zur Jahrtauendwende seine Gehag-Anteile verkaufte, wurde sie 2007 zur Deutschen Wohnen, heute Vonovia.
Die Wohngemeinnützigkeit hatte in der Nachkriegszeit den gemeinwohlorientierten Wohnungsbau von Steuern befreit. Nachdem sie 1989 abgeschafft wurde, brachte SPD-Bundesbauministerin Geywitz 2024 eine Neuauflage auf den Weg.

Können Sie einige solcher Siedlungen nennen?

Da sind natürlich die UNESCO-Welterbesiedlungen der Klassischen Moderne: Die Hufeisensiedlung in Berlin-Neukölln oder die Wohnstadt Carl Legien in Prenzlauer Berg. Am Ende der Heerstraße gibt es aber auch die Siedlung Neu-Jerusalem. Oder in Zehlendorf die Waldsiedlung Zehlendorf.

Beim Wohnungsneubau wird wieder viel in der alten Werkzeugkiste gekramt. Zum Beispiel bei der Neuauflage der Wohnungsgemeinnützigkeit. In Ihrem Buch schauen sie bis in die Weimarer Republik zurück: "100 Jahre Gehag. Gegenwart und Zukunft des solidarischen Wohnungsbaus".

Die Gemeinnützige Heimstätten AG, kurz Gehag, war eine Baugesellschaft. Sie wurde 1924 vom Gewerkschafter August Ellinger und Berliner Stadtbaurat Martin Wagner gegründet. Beide haben versucht, viele progressive Akteure zusammenzubinden. Es waren acht Gewerkschaften dabei und der DGB-Vorläufer ADGB. Aber etwa auch die AOK.

Welche Bauprojekte aus dieser Zeit sind am bekanntesten?

Als allererstes natürlich die Welterbesiedlungen. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Da kommt eine neue Baugesellschaft und schon das erste Projekt, die Siedlung am Schillerpark, ist heute Welterbe. Dann baut sie die Hufeisensiedlung – weltweit ein Signet für den modernen Wohnungsbau in Berlin. Dann geht es weiter in Prenzlauer Berg mit der Wohnstadt Carl Legien – auch wieder Welterbe.

Was hat die Häuser so sehr vom vorherigen Wohnungsbau unterschieden?

Der Wohnungsbau der Kaiserzeit ließ in seine Hinterhöfe kaum Licht und Luft. In den Zwanzigerjahren wird das aufgebrochen. Es gab viel Grün, jede Wohnung hatte ein eigenes Bad und Toilette, immer ein Balkon oder Loggia. Bruno Taut, der Architekt, hat das den Außenwohnraum genannt.

zur person

Steffen Adam
rbb

Steffen Adam ist Architekt in Berlin und Beisitzer im Vorstand des Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg. Das Buch von ihm und seinem Co-Autoren Reinhard Wenzel "100 Jahre GEHAG. Gegenwart und Zukunft des Solidarischen Wohnungsbaus" erscheint am 08.04.2025.

In Ihrem Buch sprechen Sie auch von der Zukunft des solidarischen Wohnungsbaus. Was davon kann Vorbild für den künftigen Wohnungsbau sein?

Tut euch zusammen, damit wir gemeinsam einen solchen Wohnungsbau wieder ermöglichen können. Die Innovation der Gehag war die unglaublich große Bandbreite der Organisationen, die sie unter ihrem Dach zusammenfasste. Dazu kamen hervorragende Führungskräfte: Martin Wagner als Stadtbaurat und Bruno Taut als Architekt.

Was ist Tauts besondere Handschrift?

Bruno Taut sagt, ich brauche kein Ornament und keinen Schnörkel. Aber ich greife mutig in den Farbkasten. Manche seiner Farben sind berühmt geworden, am allermeisten wohl das Taut-Blau. Das Lustige ist: jedes blaue Haus von Taut hat ein anderes Blau.

Ich wollte gerade fragen, wie sieht dieses Blau aus?

Blau wird ja immer als kühle Farbe abgestempelt. Was ich so unglaublich toll finde: Taut schafft es, ein Blau zu erzeugen, das wirklich eine warme Note hat. Schlafzimmer sind bei ihm generell blau. Und es ist ein so traumhaftes Blau, ich möchte sagen, das Blau der schönen Träume.

Hauseingang in Onkel Toms Hütte in Berlin 2005. (Quelle: Picture Alliance/akg/L. M. Peter)
Haus der Hufeisensiedlung | Bild: Picture Alliance/akg/L. M. Peter

Wenn man heute durch die Gehag-Siedlungen läuft, dann sieht man an den Häusern das Logo der Deutschen Wohnen, einer privaten Aktiengesellschaft, die mittlerweile Teil der Vonovia wurde. War die Gehag also doch keine Garantie für Gemeinnützigkeit?

Das kann man so nicht sagen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde auch die Stadt Berlin Anteilseigner der Gehag. In den Achtzigerjahren haben Gewerkschaften, vor allem der DGB, den Neue-Heimat-Skandal dann genutzt, um zu erklären: Gewerkschaften können keinen Wohnungsbau. Sie stiegen auch bei der Gehag aus, diese wurde zum städtischen Bauunternehmen. Als Berlin in den 2000er-Jahren seine Schulden loswerden musste, wurde die Gehag privatisiert.

In Nachrichten zum Wohnungsneubau geht es in der Regel um zu niedrige Neubauquoten und zu hohe Mieten. Ist das Wissen um den gemeinnützigen Wohnungsbau verloren gegangen?

Natürlich weiß man noch darum. In Zeiten, in denen wir aber immer weiter auf eine Liberalisierung der Wirtschaft hinarbeiten – da ist das Wissen wie ein neuer Gedanke. Wir müssen das Thema Wohnungsbau wieder in unserer Gesellschaft verankern. Und da ist der Appell an die gesellschaftlich aktiven Akteure gerichtet: Gewerkschaften, Genossenschaften, gemeinnützige Rentenversicherungen. Vielleicht auch die Kirchen oder Parteien. Und ich habe jetzt einen gewissen Anfang gemacht, mit 100 Jahre Gehag, das wieder bei Vorträgen und Exkursionen den Leuten näher zu bringen.

Wie die Gehag zum Vorreiter im Wohnungsbau wurde

Vielen Dank für das Interview.

Mit Steffen Adams sprach Jannis Hartmann, rbb24 Inforadio.

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48 Kommentare

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  1. 48.

    Vom Bundeskanzler Scholz wurde doch extra das Bauministerium mit Frau Geywitz geschaffen, um die Wohnungssituatio zu verbessert . Fazit. Außer Spesen nichts gewesen. Bin gespannt,was sich der nächste Bundeskanzler ausdenkt.

  2. 47.

    ,,Mehr Bauen ist ein Irrweg! Es muß erstens die Mietbremse her, dann leerstehende vermieten und dann mehr Wohnungsgenossenschaften gründen. Die sind nur dem Mieter verpflichtet und nicht so geldgeil, wie die meisten Vermieter.
    ''! Und, was sagen Sie dazu?

  3. 46.

    Naja, nur ist es ja so, dass nicht alle Vermieter Geld in die Gebäude stecken, manchmal nur wenn unbedingt erforderlich und dann auch nur notdürftig. Trotzdem steigen die Kaltmieten auch. Die Nebenkosten sind ein anderes Thema.

  4. 45.

    Instandhaltungskosten können in der Regel als Betriebskosten NICHT auf den Mieter umgelegt werden, s. § 1 Abs. 2 Nr. 2 Betriebskostenverordnung (BetrKV). Der Vermieter kann mit dem Mieter allenfalls seine individualvertragliche Vereinbarung betreffend die Übernahme von Instandhaltungskosten treffen.

  5. 44.

    Instandhaltungskosten können eben nicht auf die Miete umgelegt werden und die steigen derzeit sogar exorbitant. Daher ist es nur logisch, dass auch die Mieten steigen müssen. Für die Zunahme der Nebenkosten ist in großen Teilen die Politik verantwortlich und diese steigen damit sogar noch rasanter, als die eigentlichen Mieten.

  6. 43.

    Kann mir hier jemand erzählen, warum die Mieten ständig steigen müssen, wo die meisten Kosten doch auf die Mieter umgelegt werden? Und sie steigen ja auch bei nicht Luxus Sanierten. Das ist eine ernst gemeinte Frage

  7. 42.

    Mietbremse hatten wir von 1936 - 1989. Dementsprechend sahen die Buden dann auch aus...

  8. 41.

    Das finde ich gut zusammengefasst, so sieht Objektivität aus!
    Ja und wer im ständig oder 2-Jahres-Zyclus umziehen möchte = bitte!
    Und wenn Kiezverbundene nicht das Rad oder den ÖPNV nutzen wollen um z.B. von Marzahn nach Spandau zu gelangen, dann gilt halt die Miete von dort.

  9. 40.

    Regulation, Planung, Zuweisung, Deckelung, Verbieten. Das wird das Problem aber hurtig lösen. Das ist Schwachsinn und Denke der Altsteinzeit. Ewig sich wiederholendes Geplapper, von sich selbst kasteienden Nichtstuern. Der klassische Mietendeckler aus Kreuzberg will nur den Deckel für sich und sonst gar nichts. Er möchte keine neuen Wohnungen, sondern möchte von der zahlenden Allgemeinheit gepampert werden, um sich bloß nicht bewegen zu müssen.

  10. 39.

    Ältere Berliner wissen um Lompscher, den an sie adressierten Brandbrief der städtischen Wohnungsgesellschaften und auch das Lamento der Genossenschaften ob der Steine, die denen von der Linken in den Weg gelegt worden sind, um das zu erfüllen, was Sie hier fordern.

  11. 38.

    "Es muß erstens die Mietbremse her" oder eben Mietendeckel ist immer noch der größte Blödsinn.
    Die Mieten werden doch gezahlt.
    Und wenn ich aus ner 3-Raum-Wohnung in ne 1-Raum-Wohnung ne Strasse weiter WILL, nun dann rechne mit der gleichhohen Miete.
    Übrigens bewohne ich ne Wohnungsgenossenschafts-Wohnung in Friedrichshain, seit 25 Jahren, zur vollsten Zufriedenheit.
    Rechtzeitig auf sowas reagieren hieß es damals, und da gab es noch reichlich Leerstand!!!

  12. 37.

    Wie bringt man aber die Wohnungsbesitzenden dazu, den Neubau von Wohnungen zu akzeptieren? Irgendwas ist immer, egal ob bei Nachverdichtung, Aufstockung, Nutzung von Baulandreserven oder der Erschließung ganz neuer Baugebiete. Nahe des S-Bahnhofes Bornholmer Straße findet man sogar noch uralte Baugruben, da die Bebauung durch die Weltwirtschaftskrise gestoppt worden ist. Schnell ist jedoch immer wieder das Boulevard-TV zu Stelle, sogar beim Neubau von Schulen, und berichtet ab 19:30 über die empörten Wohnungsbesitzer, die um ihre Besitzstände fürchten.

  13. 36.

    Mehr Bauen ist ein Irrweg! Es muß erstens die Mietbremse her, dann leerstehende vermieten und dann mehr Wohnungsgenossenschaften gründen. Die sind nur dem Mieter verpflichtet und nicht so geldgeil, wie die meisten Vermieter.

  14. 35.

    Dieses stetige, unterschwellige Unterstellen, Vermieter wären nur geldgeil, ist einfach nur unterste Schublade. Fakt ist leider, dass für private Vermieter der Handlungsspielraum durch die Politik und auch die Rechtsprechung immer mehr eingeschränkt wird und das Risiko stetig zunimmt, was jegliche Rendite (ja, Vermieter wollen was verdienen, dafür dass sie was bieten) zunichte machen kann. Wenn selbst das Sparbuch mehr abwirft, dann verkaufen kleine private Vermieter eben an die, die, die das Risiko besser streuen können - die Wohnungskonzerne. In Deutschland wird es inzwischen als selbstverständlich angesehen, dass Menschen mit ihrem eigenen Geld Wohnraum für Dritte zur Verfügung stellen und dafür sämtliche Verfügungsgewalt abgeben, gleichzeitig aber auch bitteschön keinen Gewinn damit machen. So funktioniert das Ganze aber leider nicht. Es muss sich für beide Seiten lohnen.

  15. 34.

    Dachte immer Wohnungen kann man anpflanzen.
    Und wachsen dann auch, erst ein Zimmer dann zwei, letztlich auch drei bis vier!
    Alles eine Frage der Pflege und Investitionen.

  16. 33.

    Dachte immer Wohnungen kann man anpflanzen.
    Und wachsen dann auch, erst ein Zimmer dann zwei, letztlich auch drei bis vier!
    Alles eine Frage der Pflege und Investitionen.

  17. 32.

    Dachte immer Wohnungen kann man anpflanzen.
    Und wachsen dann auch, erst ein Zimmer dann zwei, letztlich auch drei bis vier!
    Alles eine Frage der Pflege und Investitionen.

  18. 31.

    WER SOLL DENN WOHNUNGEN BAUEN - WER??? Studenten oder Bürgergeldempfänger?

  19. 30.

    Das hätte alles viel früher bedacht werden.

    Nun sitzen viele Menschen auf der Straße.

    Glaubt einer wirklich das Wohnungen die in 10 Jahren gebaut werden, jetzt etwas hilft?


    Die Elite, die nun angeblich für die Armen aufgebären, sind doch nur heiße Luft und eine zusätzliche Buchung auf dem eigenen Konto.

    Berlin ist doch jetzt schon komplett voll mit Menschen die keiner haben will oder nur dafür da sind, als Mülleimer zu dienen.

  20. 29.

    Was viele ja gar nicht ahnen: Den Preisen für Wohnungsbau und -Unterhaltung (und folglich den Mieten) ist es völlig wurscht, ob Private, Gemeinnützige oder Miethaie bauen. Die sind nämlich für alle gleich - ganz einfach weil sie politisch genau so GEWOLLT sind.