Interview | Solidarisches Bauen - "Wir müssen Wohnungsbau wieder in unserer Gesellschaft verankern"

Bei Mieten und Neubau steckt Berlin weiter in der Krise. Architekt Steffen Adam sagt: Eine Lösung wurde schon vor 100 Jahren gefunden: Mit dem solidarischen Wohnungsbau der Gehag.
rbb: Herr Adam, Sie geben Führungen durch Sozialbausiedlungen. Das ist ja wieder ein gefragtes Thema. Was gibt es denn da in Berlin zu sehen?
Steffen Adam: Ja, tatsächlich ist das ein gefragtes Thema. Besonders interessiert mich allerdings der Wohnungsbau für wirklich jedermann. Ich nenne das "solidarischen Wohnungsbau". Also: Viele Akteure tun sich zusammen.
Können Sie einige solcher Siedlungen nennen?
Da sind natürlich die UNESCO-Welterbesiedlungen der Klassischen Moderne: Die Hufeisensiedlung in Berlin-Neukölln oder die Wohnstadt Carl Legien in Prenzlauer Berg. Am Ende der Heerstraße gibt es aber auch die Siedlung Neu-Jerusalem. Oder in Zehlendorf die Waldsiedlung Zehlendorf.
Beim Wohnungsneubau wird wieder viel in der alten Werkzeugkiste gekramt. Zum Beispiel bei der Neuauflage der Wohnungsgemeinnützigkeit. In Ihrem Buch schauen sie bis in die Weimarer Republik zurück: "100 Jahre Gehag. Gegenwart und Zukunft des solidarischen Wohnungsbaus".
Die Gemeinnützige Heimstätten AG, kurz Gehag, war eine Baugesellschaft. Sie wurde 1924 vom Gewerkschafter August Ellinger und Berliner Stadtbaurat Martin Wagner gegründet. Beide haben versucht, viele progressive Akteure zusammenzubinden. Es waren acht Gewerkschaften dabei und der DGB-Vorläufer ADGB. Aber etwa auch die AOK.
Welche Bauprojekte aus dieser Zeit sind am bekanntesten?
Als allererstes natürlich die Welterbesiedlungen. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Da kommt eine neue Baugesellschaft und schon das erste Projekt, die Siedlung am Schillerpark, ist heute Welterbe. Dann baut sie die Hufeisensiedlung – weltweit ein Signet für den modernen Wohnungsbau in Berlin. Dann geht es weiter in Prenzlauer Berg mit der Wohnstadt Carl Legien – auch wieder Welterbe.
Was hat die Häuser so sehr vom vorherigen Wohnungsbau unterschieden?
Der Wohnungsbau der Kaiserzeit ließ in seine Hinterhöfe kaum Licht und Luft. In den Zwanzigerjahren wird das aufgebrochen. Es gab viel Grün, jede Wohnung hatte ein eigenes Bad und Toilette, immer ein Balkon oder Loggia. Bruno Taut, der Architekt, hat das den Außenwohnraum genannt.
In Ihrem Buch sprechen Sie auch von der Zukunft des solidarischen Wohnungsbaus. Was davon kann Vorbild für den künftigen Wohnungsbau sein?
Tut euch zusammen, damit wir gemeinsam einen solchen Wohnungsbau wieder ermöglichen können. Die Innovation der Gehag war die unglaublich große Bandbreite der Organisationen, die sie unter ihrem Dach zusammenfasste. Dazu kamen hervorragende Führungskräfte: Martin Wagner als Stadtbaurat und Bruno Taut als Architekt.
Was ist Tauts besondere Handschrift?
Bruno Taut sagt, ich brauche kein Ornament und keinen Schnörkel. Aber ich greife mutig in den Farbkasten. Manche seiner Farben sind berühmt geworden, am allermeisten wohl das Taut-Blau. Das Lustige ist: jedes blaue Haus von Taut hat ein anderes Blau.
Ich wollte gerade fragen, wie sieht dieses Blau aus?
Blau wird ja immer als kühle Farbe abgestempelt. Was ich so unglaublich toll finde: Taut schafft es, ein Blau zu erzeugen, das wirklich eine warme Note hat. Schlafzimmer sind bei ihm generell blau. Und es ist ein so traumhaftes Blau, ich möchte sagen, das Blau der schönen Träume.

Wenn man heute durch die Gehag-Siedlungen läuft, dann sieht man an den Häusern das Logo der Deutschen Wohnen, einer privaten Aktiengesellschaft, die mittlerweile Teil der Vonovia wurde. War die Gehag also doch keine Garantie für Gemeinnützigkeit?
Das kann man so nicht sagen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde auch die Stadt Berlin Anteilseigner der Gehag. In den Achtzigerjahren haben Gewerkschaften, vor allem der DGB, den Neue-Heimat-Skandal dann genutzt, um zu erklären: Gewerkschaften können keinen Wohnungsbau. Sie stiegen auch bei der Gehag aus, diese wurde zum städtischen Bauunternehmen. Als Berlin in den 2000er-Jahren seine Schulden loswerden musste, wurde die Gehag privatisiert.
In Nachrichten zum Wohnungsneubau geht es in der Regel um zu niedrige Neubauquoten und zu hohe Mieten. Ist das Wissen um den gemeinnützigen Wohnungsbau verloren gegangen?
Natürlich weiß man noch darum. In Zeiten, in denen wir aber immer weiter auf eine Liberalisierung der Wirtschaft hinarbeiten – da ist das Wissen wie ein neuer Gedanke. Wir müssen das Thema Wohnungsbau wieder in unserer Gesellschaft verankern. Und da ist der Appell an die gesellschaftlich aktiven Akteure gerichtet: Gewerkschaften, Genossenschaften, gemeinnützige Rentenversicherungen. Vielleicht auch die Kirchen oder Parteien. Und ich habe jetzt einen gewissen Anfang gemacht, mit 100 Jahre Gehag, das wieder bei Vorträgen und Exkursionen den Leuten näher zu bringen.
Wie die Gehag zum Vorreiter im Wohnungsbau wurde
Vielen Dank für das Interview.
Mit Steffen Adams sprach Jannis Hartmann, rbb24 Inforadio.