- Altersdiskriminierung in der Medizin
Werden Menschen auf Grund ihres Alters mit Vorurteilen assoziiert (Ageism), kann das negative Folgen für ihre medizinische Versorgung haben. Ein Überblick.
Was ist Altersdiskriminierung?
Auch wenn das Wort die Verbindung von Diskriminierung mit einem hohen Alter nahelegt - Altersdiskriminierung (Ageism) kann in vielen Zeitphasen im Leben auftreten – Beispielsweise bei jungen Menschen, die Arzt oder Ärztin im Schulstress wähnt oder im mittleren Lebensalter, wenn Symptome oder Schilderungen während der Anamnese mit den Wechseljahren in Verbindung gebracht werden (was übrigens bei Frauen zwar häufiger vorkommt, aber auch Männer betreffen kann).
Kurz zusammengefasst umfasst Altersdiskriminierung (Ageism) in der Medizin vor allem folgende Punkte:
• Patienten nicht ernst nehmen, weil sie alt sind (Vorurteile zum Gedächtnis, etc.)
• Der Anamnese weniger Aufmerksamkeit schenken, weil das Patientengespräch vielleicht länger dauert oder durch Vorerkrankungen komplexer ist (Hörprobleme, lange Krankengeschichte wird zumindest vermutet, besonderer "Redebedarf" aufgrund von Einsamkeit wird Älteren häufig schon vorab unterstellt, etc.)
• Therapien vernachlässigen, weil die Fähigkeit der Patientin oder des Patienten sie umzusetzen oder dazu beizutragen unterschätzt wird aufgrund des Alters (z.B. bei Lebensstiländerungen)
• Kommunikation auf Begleiterin oder Begleiter verlagern, weil er / sie vermeintlich "mehr versteht" oder schneller kommuniziert, was Zeit spart.
All diese und mehr Handlungsweisen führen letzten Endes zu einer Bevormundung des Patienten oder der Patientin, die auf Vorurteilen im Zusammenhang mit dem Alter besteht. Ob die Betroffenen wirklich Verständnisprobleme haben oder schwere Vorerkrankungen oder bestimmte Therapien für sie weniger geeignet sind, ist nicht die Basis für Anamnese oder Behandlung, sondern zuerst einmal die Annahme, das dem so sei – aufgrund des Alters von Patientin oder Patient.
Wichtig: Altersdiskriminierung kann auch mit guten Absichten einhergehen, zum Beispiel dem vermeintlichen Schutz einer vulnerablen Person. Kern ist jedoch bei einer Diskriminierung immer, dass man den Schubladen im eigenen Kopf den Vorzug davor gibt, den aktuellen Fall bzw. Menschen individuell zu behandeln und darum generell schlechter oder besser (positive Diskriminierung) behandelt.
Folgen: Was bedeutet Altersdiskriminierung in der Medizin?
Altersdiskriminierung in der Medizin – ob bewusst oder unbewusst – bedeutet vor allem das Anlegen von Maßstäben für Kontakt & Versorgung von Patientinnen und Patienten, die nicht individuell sind, sondern auf "Altersbildern", also Vorurteilen beruhen.
Das hat vor allem diese Folgen:
• schlechtere medizinische Versorgung (als bei individualisierter Medizin)
• "ungenaue Versorgung", also unter Umständen weniger effiziente medizinische Versorgung (nicht auf aktuelle Situation abgestimmt)
• gesteigertes Risiko für das Übersehen von Symptomen, was Folgerisiken für eine Erkrankung verstärkt
• Unterschlagen oder Verwerfen von Therapieoptionen, die z. B. weniger invasiv, aber dafür zeitintensiver sind.
Forschung zu Altersdiskriminierung (Ageism)
Altersdiskriminierung oder Ageism ist natürlich vor allem ein gesellschaftliches Phänomen – und das kann sich dann auf die medizinische Behandlung durchschlagen. Die gesellschaftliche Forschung zur Altersdiskriminierung befasst sich vor allem mit Fragen von Vorurteilen und Inklusion, beispielsweise in den Arbeitsmarkt oder zum Ansehen von Menschen bestimmten Alters in der Gesellschaft.
Wie schon erwähnt geht es bei Ageism oder Altersdiskriminierung per se nicht um eine bestimmte Altersgruppe, sondern schlicht um einen Menschen, der lediglich aufgrund seines Alters bestimmten Stereotypen zugeordnet wird und daher benachteiligt oder (seltener) bevorzugt wird – egal welche Altersgruppe das ist.
Ein Beispiel für die Gruppenzuweisung (Altersbild): Laut der Studie "Age ismus – Altersbilder und Altersdiskriminierung in Deutschland", veröffentlicht von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, ist der größte Teil (27 Prozent) der rund 2.000 Befragten ab 16 Jahren der Auffassung, dass die Grenze, ab der man in Deutschland als "alt" bezeichnet wird, ab 60 Jahren beginnt – im internationalen Vergleich ist das relativ früh.
Andere Ergebnisse des Berichts zeigen, dass etwa genauso viele Menschen angeben von Altersdiskriminierung (auf allen gesellschaftlichen Gebieten) betroffen zu sein, wie es Menschen gibt, die angeben von Rassismus betroffen zu sein – es geht also um keine kleine Gruppe.
Klar ist, dass Ärztinnen und Ärzte z. B. für die Erwägung einer Therapie ein Bild davon haben müssen, wie ein Patient in einem bestimmten Alter reagieren könnte, mit welchen Risiken zu rechnen ist und welche Potenziale dieser oder jener Therapieweg für ihn hat. "Alter(n)svorstellungen der Professionellen" wurde das schon im "Sechsten Bericht zur Lage der älteren Menschen in der Bundesrepublik Deutschland" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen & Jugend (BMFSFJ) 2010 genannt.
Es geht dabei z. B. darum, Risikogruppen schnell zu erkennen und in den Optionen schnell zu filtern – das menschliche Gehirn mag und braucht solche "Schubladen" oder Zurodnungsmuster, um überhaupt arbeiten zu können. Doch wo sind die Grenzen?
Bei Ageism geht es um die Benachteiligung von Patientinnen und Patienten durch diese Vorurteile und Schubladen – also dass sie bewusst oder unbewusst zum Maßstab für Entscheidungen und Handlungen gemacht werden. In den letzten zehn Jahren konnten einige Studien beispielsweise zeigen, dass Ältere in Befragungen von medizinischem Personal allgemein und per se als krank und kognitiv eingeschränkt empfunden wurden.
Auch für die schlechteren Behandlungsoptionen (siehe Abschnitt: Folgen: Was bedeutet Altersdiskriminierung in der Medizin?) und Vernachlässigung Älterer in der Gesundheitsforschung fanden Studien Hinweise.
Allerdings ist es schwierig detaillierte Kausalketten in Studien für den Bereich Medizin nachzuweisen, daher ist die Masse der Untersuchungen, die klinische Daten miteinbeziehen, noch begrenzt. Allerdings: Ageism wird gerade in einer alternden Bevölkerung weiter Thema bleiben – hoffentlich möglichst wenig als erlebter Alltag Betroffener.
Was wirkt Altersdiskriminierung in der Medizin entgegen?
Diese Dinge können dabei helfen eine Sensibilität für das Thema herzustellen und Denkmuster zu durchbrechen:
• Die eigenen Altersbilder reflektieren und mit "echten" Erfahrungswerten abgleichen
• "Alterssprache" oder Elderspeak hinterfragen (lauter und einfacher Sprechen zu Menschen, die man als alt wertet / liest): Mache ich das wirklich, weil Patientin oder Patient mich schlecht versteht – oder nehme ich das nur von vorn herein an?
• Unterscheidung zwischen Alter als medizinischem Risikofaktor – einer statistischen Wahrscheinlichkeit – und Alter als Hauptbasis einer medizinischen Entscheidung ohne weitere Grundlage
• Offener Umgang mit den Patientinnen und Patienten durch Einbeziehung & Selbstermächtigung für die Wahl der Therapieoptionen.
Beitrag von Lucia Hennerici