"Zirkuskind" aus der Berlinale-Kindersektion Generation zeigt ein Jahr aus dem Leben einer Zirkusfamilie. Julia Lemke und Anna Koch haben einen warmherzigen Dokumentarfilm gedreht. Von Fabian Wallmeier
Das Zirkuszelt wird ausgebaut. Der elfjährige Santino klettert einen der in schwindelnde Höhen reichenden Stahlmasten hoch, forsch und mit fast schon sicherem Tritt - und ohne Absicherung. Nichts Besonderes, denn was Santino hier macht, gehört zum Alltag eines Zirkuskindes. Aufpassen solle er, sagt sein Vater nur beiläufig, während man beim Zuschauen unwillkürlich zusammenzuckt und froh ist, wenn Santino wieder festen Boden unter den Füßen hat.
"Zirkuskind" aus der Kinder- und Jugendsektion Generation zeigt das Leben von Santino Frank und seiner Familie. Ein Jahr lang haben die Dokumentarfilmerinnen Julia Lemke und Anna Koch den Circus Arena begleitet, der mit Akrobatik, Clownerie - und ein paar Pferden, Ochsen und Kamelen durch das Land reist. Kindgerecht, ohne jemals kindisch überzuerklären, tauchen sie in eine Parallelwelt ein.
Die Jahreszeiten gliedern den Film in vier Abschnitte. Weit am Anfang steht Santinos 11. Geburtstag - und die Frage, was er denn einmal in der Manege zeigen will. Denn das, so will es die Familientradition, muss jede:r für sich selbst herausfinden: was er oder sie in der Manege zeigen will.
Was das für Santino sein wird, ist dann aber nicht die zentrale Frage, um die der Film kreist. Sie wird am Ende auch nur vage beantwortet. Denn wichtiger ist etwas anderes: der stetige Fluss, der den Alltag einer Zirkusfamilie bestimmt - und der feste Zusammenhalt der Familie, der den ständigen Ortswechseln ein unabdingbares Gegengewicht verleiht.
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Seemannsgarn und herzige Animationen
Höhepunkte des Films sind die Erzählungen von Santinos Uropa, des "Opa Ehe" genannten Zirkusdirektors. Verschmitzt und märchenonkelig zugleich bringt er Santino die Geschichte des Zirkus nahe. Magda Kreps und Lea Majeran steuern dazu enorm herzige Animationen bei, die Opa Ehes Geschichten illustrieren, erweitern und augenzwinkernd kommentieren.
Wieviel Seemannsgarn der Uropa in seine Erzählungen webt, ist egal - im Kern wird schon stimmen, was er da berichtet. Vom Elefanten Sahib zum Beispiel, dem größten aller Zeiten, um den die ganze Zirkuswelt die Franks beneidete - und an dem er sich als Kind in eisigen Winternächten wärmte. Er erzählt aber auch, in einfachen, kindgerechten Worten, von der Verfolgung seiner Familie und der Sinti und Roma insgesamt durch die Nationalsozialisten.
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Eine gewisse Traurigkeit schimmert durch
Überhaupt zeichnen Lemke und Koch kein romantisierendes Bild des Zirkuslebens. Auch die Schattenseiten bekommen Raum. Bindungen außerhalb der Zirkusfamilie aufzubauen, daran lässt der Film keinen Zweifel, ist so gut wie unmöglich. Wenn Santino die immer neuen Klassenkameraden, die er auf seiner stetigen Reise von Stadt zu Stadt, beharrlich als seine Freunde bezeichnet, schimmert auch eine gewisse Traurigkeit durch.
Und ist das Bildungssystem überhaupt ausgelegt auf Kinder wie Santino, die eine Klasse immer nur für ein paar Tage, maximal Wochen besuchen? Sieht nicht so aus, wenn man den Erzählungen seiner Familie Glauben schenken kann. Hausaufgaben habe er nie bekommen, erzählt etwa Santinos Vater. Und Lesen und Schreiben habe er in der Schule nicht gelernt, das hätten ihm seine Mutter und seine Großmutter beigebracht. So ist es dann auch kein Wunder, dass viele Familienmitglieder zwar lebendig und mitreißend erzählen können, sie aber auch eine manchmal eigenartige Privatgrammatik zu verbinden scheint.
Doch das ist nur ein Randaspekt. Lemke und Koch ist nicht primär daran gelegen, etwas zu problematisieren. Sie wollen nachempfindbar machen, wie das Leben eines Zirkuskindes in all seinen Facetten ist. Das ist ihnen mit ihrem warmherzigen Film gelungen - der übrigens keineswegs nur für Kinder bereichernd ist.
Berlinale 2025: Stars, Glamour und Momente
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Elegant in tiefem blau spaziert Sibel Kekilli über den roten Teppich. Sie ist im deutschen Wettbewerbsbeitrag ''Yunan" an der Seite von Hannah Schygulla zu sehen.
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Aber auch Weiß passt gut zu Rot. Und scheint in diesem Jahr beliebt zu sein. Hier trägt die australische Schauspielerin Rose Byrne ein priesterähnliches Gewand. Im Wettbewerbs-Beitrag "If I Had Legs I'd Kick You" gibt sie eine herausragende Performance als Mutter am Rande des Nervenzusammenbruchs.
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Im 1960-Jahre-Look kommt Margaret Qualley, Tochter von Andie MacDowell zum Berlinale Palast. Sie bringt neben dem Wettbewerbfilm "Blue Moon", ihren Hund Smokey mit.
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Bestens gelaunt sind Regisseur Richard Linklater (2.v.r.) mit den Stars seines Wettbewerbfilms "Blue Moon". Im Biopic spielt Margaret Qualley (li) die große Liebe des berühmten Songwriters Lorenz Hart. Ethan Hawke, hier salopp im Holzfällerhemd, verkörpert Lorenz Hart, Andrew Scott (re) den Komponisten Richard Rodgers.
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Sie sind die Stars des ersten deutschen Wettbewerb-Beitrags "Was Marielle weiß": (li-re) Felix Kramer, Julia Jentsch und Laeni Geiseler, zusammen mit Regisseur Frederic Hambalek.
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Sie sind auch da! Bob Geldorf Sänger und Aktivist und der Schauspieler Antonio Banderas öffnen kurz die Tür: Sie sind Gäste der Cinema for Peace Gala 2025 im Hotel Adlon.
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Passend zu den Minusgraden in Berlin kommen August Diehl und der französische Star Marion Cotillard, um den Wettbewerbsfilm "La Tour de Glace"/"The Ice Tower" zu präsentieren.
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Wenn sie frieren, ist es ihnen nicht anzusehen: Schauspielerin Rose Byrne und Regisseurin Mary Bronstein haben den Wettbewerbsfilm "If I Had Legs I'd Kick You" im Gepäck.
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Und da ist ... Robert Pattinson ... Entspannt steigt er aus dem Wagen und begrüßt die Fans bei der Berlinale. Locker und gut gelaunt lässt er sich von Kameras und Jubel nicht aus der Ruhe bringen.
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Hollywoodstar Robert Pattinson soll Sorge vor der Berliner Kälte gehabt haben. Sein Outfit hatte er sich in Kalifornien zurechtgelegt.
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Der Brite ist regelmäßiger Gast auf der Berlinale und präsentiert in diesem Jahr "Mickey 17", eine Sciende-Fiction-Komödie von Kult-Regisseur Bong Joon-ho. Pattinson spielt Mickey Barnes, Held wider Willen, verdient sich darin seinen Lebensunterhalt damit, dass er stirbt.
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Die Berliner:innen sind auf die eisigen Temperaturen gut vorbereitet. In dicke Jacken, mit Mützen und Schals ist der Andrang am roten Teppich groß. Diese jungen weiblichen Fans warten auf Timothée Chalamet. Spoiler: Er wird auch kommen.
Selfie mit der neuen Berlinale-Chefin: Tricia Tuttle ist der Stress der letzten Monate nicht anzusehen. Seit April 2024 ist sie im Amt - nicht viel Zeit, um ein Weltfestival mit über 200 Filmen auf die Beine zu stellen.
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Heiß erwartet von seinen weiblichen Fans: Timothée Chalamet. In "A Complete Unknown" gibt er eine fulminante Darstellung des jungen Bob Dylan. Der Film läuft im Rahmen der "Berlinale Special Gala" ...
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... und Timothée wird mindestens genauso belagert, wie seinerzeit der junge Bob ...
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Jessica Chastain - mitten im Fan-Trubel zur Premiere des Films "Dreams": Geduldig lächelnd, umringt von Handys und Blitzlichtern. Doch auf der Pressekonferenz findet die US-Schauspielerin deutliche Worte zur politischen Realität in den USA.
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Umgeben von Autogrammjägern, aber Jacob Elordi bleibt cool. Auch in seiner Rolle als Dorrigo Evans in "The Narrow Road to the Deep North" muss er sich inmitten des Chaos' behaupten.
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Emma Mackey, vielen bekannt aus der Netflix-Serie "Sex Education", überzeugt bei der Berlinale mit ruhiger Ausstrahlung und einem eleganten Look in Weiß. Sie spielt im Wettbewerbs-Beitrag "Hot Milk" eine junge Frau auf der Suche nach sich selbst.
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Viermal weiße Garderobe auf dem roten Teppich bei der Eröffnungsgala: Model Toni Garrn bringt zwar keinen Film mit, aber den Teppich zum Leuchten.
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Naomi Ackie posiert für die Kameras und genießt das Blitzlichtgewitter. In "Mickey 17" ist sie an der Seite von Robert Pattinson sehen.
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Ein Traum in weiß: Jury-Mitglied Fan Bingbing. Will man Wikipedia Glauben schenken, führt die Schauspielerin und Sängerin seit 2015 die Forbes-Liste der bestbezahlten Chinesen 2015 an.
Bild: picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow
Schwarz auf Weiß bringt Klimaaktivistin Luisa Neubauer am Eröffnungsabend der Berlinale eine politische Meinung zum Ausdruck: Auf der Vorderseite ihres Kleides steht: "Donald & Elon & Alice" und darunter "Friedrich?". Auf dem Rückenteil ist nachzulesen: "Democracy Dies in Daylight"
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Es geht mir nicht darum wie die Kinder erzogen werden, daß ist nicht die Aufgabe des Staates. Aber es ist schon seine Aufgabe dafür zu sorgen, daß Kinder die Grundfertigkeiten erwerben. Grundrechenarten, Rechtschreibung, Grammatik, soziale Fähigkeiten, Englisch etc. Und das geht nur, wenn Kinder DAUERHAFT zur SELBEN Schule gehen.
Z.B. 6 Jahre Grundschule, 4 Jahre SEK I (7.-10. Klasse)
Nur so können dauerhafte Freundschaften entstehen, soziale Fähigkeiten aufgebaut werden. Daher gehört das ständige Wechseln von Schulen verboten.
Kinder sind nicht dazu da, um von ihren Eltern ausgenutzt zu werden um die Geldgier zu befriedigen.
Würden Sie also sagen, dass der Staat in das Recht der Eltern eingreifen soll, zu entscheiden, wie ihre Kinder erzogen werden?
1.
Daß sowas überhaupt erlaubt ist.. Kinder müssen eine gewisse Bindung aufbauen und das fängt bereits im Kindergarten an. Wie soll denn der in seinem Leben eine langfristige Beziehung aufbauen, wenn er seine ganze Kindheit damit verbringt immer nur für ein paar Tage an einem Ort zu verbringen??
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