Berlinale-Generation Kplus | "Zirkuskind" - Gewärmt vom Elefanten

Mo 17.02.25 | 10:03 Uhr | Von Fabian Wallmeier
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Zirkuskind | Circusboy von Julia Lemke, Anna Koch DEU 2025, Generation © Julia Lemke
Bild: © Julia Lemke / Flare Film

"Zirkuskind" aus der Berlinale-Kindersektion Generation zeigt ein Jahr aus dem Leben einer Zirkusfamilie. Julia Lemke und Anna Koch haben einen warmherzigen Dokumentarfilm gedreht. Von Fabian Wallmeier

Das Zirkuszelt wird ausgebaut. Der elfjährige Santino klettert einen der in schwindelnde Höhen reichenden Stahlmasten hoch, forsch und mit fast schon sicherem Tritt - und ohne Absicherung. Nichts Besonderes, denn was Santino hier macht, gehört zum Alltag eines Zirkuskindes. Aufpassen solle er, sagt sein Vater nur beiläufig, während man beim Zuschauen unwillkürlich zusammenzuckt und froh ist, wenn Santino wieder festen Boden unter den Füßen hat.

"Zirkuskind" aus der Kinder- und Jugendsektion Generation zeigt das Leben von Santino Frank und seiner Familie. Ein Jahr lang haben die Dokumentarfilmerinnen Julia Lemke und Anna Koch den Circus Arena begleitet, der mit Akrobatik, Clownerie - und ein paar Pferden, Ochsen und Kamelen durch das Land reist. Kindgerecht, ohne jemals kindisch überzuerklären, tauchen sie in eine Parallelwelt ein.

Frühling, Sommer, Herbst und Winter

Die Jahreszeiten gliedern den Film in vier Abschnitte. Weit am Anfang steht Santinos 11. Geburtstag - und die Frage, was er denn einmal in der Manege zeigen will. Denn das, so will es die Familientradition, muss jede:r für sich selbst herausfinden: was er oder sie in der Manege zeigen will.

Was das für Santino sein wird, ist dann aber nicht die zentrale Frage, um die der Film kreist. Sie wird am Ende auch nur vage beantwortet. Denn wichtiger ist etwas anderes: der stetige Fluss, der den Alltag einer Zirkusfamilie bestimmt - und der feste Zusammenhalt der Familie, der den ständigen Ortswechseln ein unabdingbares Gegengewicht verleiht.

Seemannsgarn und herzige Animationen

Höhepunkte des Films sind die Erzählungen von Santinos Uropa, des "Opa Ehe" genannten Zirkusdirektors. Verschmitzt und märchenonkelig zugleich bringt er Santino die Geschichte des Zirkus nahe. Magda Kreps und Lea Majeran steuern dazu enorm herzige Animationen bei, die Opa Ehes Geschichten illustrieren, erweitern und augenzwinkernd kommentieren.

Wieviel Seemannsgarn der Uropa in seine Erzählungen webt, ist egal - im Kern wird schon stimmen, was er da berichtet. Vom Elefanten Sahib zum Beispiel, dem größten aller Zeiten, um den die ganze Zirkuswelt die Franks beneidete - und an dem er sich als Kind in eisigen Winternächten wärmte. Er erzählt aber auch, in einfachen, kindgerechten Worten, von der Verfolgung seiner Familie und der Sinti und Roma insgesamt durch die Nationalsozialisten.

Eine gewisse Traurigkeit schimmert durch

Überhaupt zeichnen Lemke und Koch kein romantisierendes Bild des Zirkuslebens. Auch die Schattenseiten bekommen Raum. Bindungen außerhalb der Zirkusfamilie aufzubauen, daran lässt der Film keinen Zweifel, ist so gut wie unmöglich. Wenn Santino die immer neuen Klassenkameraden, die er auf seiner stetigen Reise von Stadt zu Stadt, beharrlich als seine Freunde bezeichnet, schimmert auch eine gewisse Traurigkeit durch.

Und ist das Bildungssystem überhaupt ausgelegt auf Kinder wie Santino, die eine Klasse immer nur für ein paar Tage, maximal Wochen besuchen? Sieht nicht so aus, wenn man den Erzählungen seiner Familie Glauben schenken kann. Hausaufgaben habe er nie bekommen, erzählt etwa Santinos Vater. Und Lesen und Schreiben habe er in der Schule nicht gelernt, das hätten ihm seine Mutter und seine Großmutter beigebracht. So ist es dann auch kein Wunder, dass viele Familienmitglieder zwar lebendig und mitreißend erzählen können, sie aber auch eine manchmal eigenartige Privatgrammatik zu verbinden scheint.

Doch das ist nur ein Randaspekt. Lemke und Koch ist nicht primär daran gelegen, etwas zu problematisieren. Sie wollen nachempfindbar machen, wie das Leben eines Zirkuskindes in all seinen Facetten ist. Das ist ihnen mit ihrem warmherzigen Film gelungen - der übrigens keineswegs nur für Kinder bereichernd ist.

Berlinale 2025: Stars, Glamour und Momente

Sendung: Radioeins, 18.02.204, 13:10 Uhr

Beitrag von Fabian Wallmeier

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3 Kommentare

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  1. 3.

    Es geht mir nicht darum wie die Kinder erzogen werden, daß ist nicht die Aufgabe des Staates. Aber es ist schon seine Aufgabe dafür zu sorgen, daß Kinder die Grundfertigkeiten erwerben. Grundrechenarten, Rechtschreibung, Grammatik, soziale Fähigkeiten, Englisch etc. Und das geht nur, wenn Kinder DAUERHAFT zur SELBEN Schule gehen.

    Z.B. 6 Jahre Grundschule, 4 Jahre SEK I (7.-10. Klasse)
    Nur so können dauerhafte Freundschaften entstehen, soziale Fähigkeiten aufgebaut werden. Daher gehört das ständige Wechseln von Schulen verboten.

    Kinder sind nicht dazu da, um von ihren Eltern ausgenutzt zu werden um die Geldgier zu befriedigen.

  2. 2.

    Würden Sie also sagen, dass der Staat in das Recht der Eltern eingreifen soll, zu entscheiden, wie ihre Kinder erzogen werden?

  3. 1.

    Daß sowas überhaupt erlaubt ist.. Kinder müssen eine gewisse Bindung aufbauen und das fängt bereits im Kindergarten an. Wie soll denn der in seinem Leben eine langfristige Beziehung aufbauen, wenn er seine ganze Kindheit damit verbringt immer nur für ein paar Tage an einem Ort zu verbringen??

    Sowas gehört aus meiner Sicht verboten!

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